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1 16 VOLT 2 „Super Cool Nothing" 3 (slipdisc / edel)

Ein supercooles Gesellenstück des Industrialmetals, bis auf den letzten Ton perfekt produziert von Bill Kennedy (N.I.N. / MARYLIN MANSON) und Joseph Bishara (u.a. DANZIG) - damit ist die Stoßrichtung klar, und allzu große Überraschungen sollten nicht mehr erwartet werden: fette Riffs, z. T. tanzbare Rhythmen, hier und da mal melodiöse Refrains („Don`t pray", „Keep sleeping"), und textlich gibts die fällige Abrechnung mit der Plattenindustrie (das wütende „The enemy"). Auffallend anders sind jedoch die ruhigen Parts von „Moutheater" oder „Low", die v. a. wegen des Gesangs fast schon etwas DEUS-artiges haben und neue Klänge erschließen. Live werden 16 VOLT übrigens supportet vom Tourdrummer von SKINNY PUPPY - klingt spannend.
 
 

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1 DAVID ABIR / ASHLEY WALES 2 „Lesson One: Movement A, Study 33 / Landscape" 3 (Sulphur / Rough Trade)

Wunderschöne Kleinode dieser zwei Komponisten, angesiedelt irgendwo zwischen Neoklassik und Ambient. Abir benutzte als Soundquellen nur Stimme und Cello, umso erstaunlicher, wie dicht das Ergebnis geworden ist (es lebe das Echogerät!). Wales' Landschaft wirkt zeitloser, aber auch zerbrechlicher, wobei die Effekte zugunsten der Melodie in den Hintergrund treten. Das richtige für sonntagnachmittags beim Tee.

1 Abstract Q 2 „Selected Frequencies for Unrepressed Neural Events" 3 (Open Circuit Staalplaat)

Abstrakte und trotz manchmal ganz schön krummer Rhythmen größtenteils tanzbare Elektronica des Turiners Valerio Zucca Paul, der bestimmt gemeinsam mit Ras Al Ghul die gleiche Informatikerschule besucht hat. Überstunden gabs dann in Bio, daher die Songtitel wie „Pulse", „Nerves", „Brain Gate", „Spinal Tremor". So ensteht das Gesamtbild eines Popalbums für Biomechanoiden, das in düsteren Momenten aber auch schon mal wie ein Soundtrack zu Giger-Bildern anmutet. Open Circuit ist übrigens ein neues CD-R only Staalplaat-Sublabel: „no artistic conditions, no musical selection criteria" > opencircuit@staalplaat.com

1 Anton Aeki 2 „Ningun K" 3 (Staalplaat / Target)

Anton Aeki schwört auf seinen Sampler und jagt uns mit dessen Hilfe unzählige Sounds um die Ohren. Strukturen sind da kaum noch zu erkennen, bzw. diese bilden sich ständig neu, ganz wie im richtigen Leben. Allerdings wird diese Informationsfülle selten richtig nervig, der Beginn von „crustal deformation" mag wohl als Anfangsschocker durchgehen, um dann ganz im Sinne von Hafler Trios „A thirsty fish" assoziationsreiche Alltagszitate zu einem multidimensionalen Klangmonument verschmelzen zu lassen. Irritainment at its best.

1 Ambush 2 „Revue" 3 (Common Cause)

Wer sie auf der letzten Tour gesehen hat, ist vorgewarnt: Das hier hat nur sehr bedingt was mit der „Amarcord"-10" und eigentlich gar nichts mit dem Erstling „Lach!" zu tun: Der Verzerrer bleibt zu Hause, die Mundharmonika wird ausgepackt, und es wird gekrautet, bis der Arzt kommt. Aber halt, nach mehrmaligem Hören kommt dann doch die bekannte Ambush-Agonie durch, und die Schwere der Basslines droht immer noch, dir den Boden unter den Füssen wegzureißen. Auch in den Titeln wird noch der Anschluß an die Vorgänger gesucht: Statt „Sheep" auf der 10" und „Rats" auf „Lach!" gibts jetzt „Pigs" auf „Revue" - eigentlich ganz logisch, und der letzte Track heißt sogar „Amarcord", kann aber auch Zufall sein... Dazu die durchgeknallte Ästhetik auf dem Cover und den Inlets (anscheinend ist das gute Stück nur auf Vinyl erhältlich), das beweist endgültig, daß Ambush immer noch „Mindsurfer" sind, nur liegt die Betonung jetzt mehr auf Surfer.

1 Ammo / Szkieve 2 „Terra Amata / Perturbacée" 3 (Ad Noiseam)

Ad Noiseam setzt auf Vinyl, und zwar (wenn schon, denn schon) mit einer transatlantischen Picture-Split-LP. Die ist zwar schön bunt, mit den abgebildeten Kakerlaken respektive Schmetterlingen aber nicht unbedingt der Hammer in Sachen Ästhetik. Anders die Musik: Dimitri della Faille, der Kopf des Hushush-Labels, lotet mit seinem Projekt Szkieve die Höhen und Tiefen des Ambient aus und dröhnt und oszilliert dabei, dass es eine Freude ist. Das erinnert streckenweise (vielleicht des Formats wegen) an Aubes Picture-LP „Cerebral Disturbance", auf der dieser Aufnahmen von Hirnfrequenzen verwurstet. Auf der anderen Seite kontrastieren Ammo Orchestersequenzen und extreme Electronics, ohne plump zu werden, und schaffen es immer wieder, inmitten ihres Klangteppichs mit völlig neuen Wendungen zu verblüffen. Ein sehr intensiver Release eines sehr aktiven Labels.

1 Hans Appelqvist 2 „Tonefilm" 3 (Komplott / Hausmusik)

Im Hintergrund rattert ein Filmprojektor, langsam schleicht sich eine einlullende Melodie ein - Easy Listening als Soundtrack. Plötzlich ein paar Sekunden Stille, dann beginnt der nächste Clip, ein anderes Instrument, ähnlich einlullende Melodien. Eine Kinderstimme wird eingeblendet, und Appelqvist versucht erstmals, das allzu easy Zuhören mittels Sounds am Rande des Hörbaren zu irritieren - sowas Störgeräusche zu nennen, wäre allerdings zu dick aufgetragen. Ab dem vierten Stück gibts zunehmend komplexe Beats, aber immer noch nix mit fett - dieser Mann ist sehr dezent - und als Z ugabe immer wieder Schnippsel aus Filmdialogen, auf schwedisch, versteht sich. Music for short films als sanfter Variante zu Phylrs „Contra La Puerta", und der Projektor rattert und rattert und rattert...

1 Arkkon 2 „Rotunda" 3 (Soleilmoon/Triton)

Eine Stunde Synapsenmassage in Form von elektronischen Soundscapes mit Neoklassiktouch, nicht zuletzt durch Sarah Bradshaw am Cello. Weitere Gastperformance: Lydia Lunch an den Vocals bei den dramatischen „Crimes against Nature". Deep, deep, deepe Flächen, zuweilen ein rhythmisches Pulsieren und viel Stereo aufs Delay - was wollen wir mehr? Nur das zentrale Stück mit dem obskuren Namen „Schlemmer" ist für einen richtigen Chill out etwas zu synthetisch, mit knapp viereinhalb Minuten zugleich aber auch kürzester Track. Dann sich doch lieber in der „Last Transmission" verlieren…

1 ART ZOYD 2 „FAUST" 3 (Atonal / EFA)

Schöner, leicht synthielastiger Ambient mit vielen konkreten Geräuschen als Soundtrack zu Murnaus gleichnamigen Film von 1926 (im Booklet übrigens mit guten Bildern daraus). Die perfekte Filmmusik zwischen Entspannung und Dramatik mit einigen interessanten Vokalexperimenten zum Schluß, wäre nur nicht gleich zu Beginn die übertriebene DarkWave-Theatralik von „Gates of Darkness I", das jedoch zum Glück das einzige Gesangsstück bleibt.

1 AS 11 2 „5000 m New WR" 3 (Antifrost / Staalplaat)

Ähnlich strukturiert wie der musikalische Teil des Foton-Kollektivs arbeitet AS 11 aus Griechenland, setzt sich aber durch thematische Vorgaben strenge konzeptuelle Richtlinien. Bei dieser 3" CD geht es um den Weltrekord über 5000 Meter Sprint, derzeit gehalten von Haile Gebereselassie aus Äthiopien. Der Sound von „5000 m New WR" klingt, als seien dem Sprinter Kontaktmikros ans Herz und die Lunge gesetzt worden, denn eigentlich sind nur Herzschläge und Atemgeräusche zu hören. Gleichzeitig schafft AS 11 aber damit so etwas wie eine Reise in die Innenwelt des Läufers, sein eigenes körperliches Erleben. Und das ganz ohne Schweiss und Ohnmachtsanfälle…

1 ASCHE 2 Non Apocalypse 3 (functional)

Ambitioniertes Objekt eines ARS MORIENDI-Mitglieds, das experimentelle Musik der gesamten Bandbreite von Harsh Noise zu Ambient Industrial vereint - sounds from the deep blue sea. Trotz der Vielfalt ist die CD äußerst konsequent, kein halbherziges crossovern, sondern ein radikales Industrial-Statement gegen eindimensionale Genre-Zuordnungen... Entsprechend ist das Booklet im Tekkno-Outfit. Zerschlagt die Klischees! Alles läßt sich verbinden, wenn Du nur mutig genug bist: An CURRENT 93 etwa zur „Nature Unveiled"-Phase erinnernde Hymnen, Ausdruck der fatalen Faszination der Macht („...und es war Krieg am Horizont"); wunderschöne Minimal-Ästhetik, Beschreibung für die Wunder des Lebens („Urknall"); ein asiatich beeinflußtes dreiteiliges „Chitipati`s Ritual" (Warcelebration/Locke seine Dämonen/Metalltanz), das all diese Komplexität und Widersprüchlichkeit noch einmal vereint und abbildet; und nicht zuletzt der elektronische Aufruf zur Rettung GAIAs („MOVE !"). Non Apocalypse fängt Dich ein in ein holistisches Bild voll (morbider) Schönheit und Schrecken, und ist trotz allem eine Liebeserklärung ans Leben.

1 Nigel Ayers/Randy Greif / Robin Storey 2 „Oedipus Brain Foil" 3 (Soleilmoon / Target)

Monumentale 3 CD-Konzeptkollaboration dreier älterer Herren der Postindustrialszene, die in der letzten Zeit sonst eher zu den Einzelgängern gehörten. Die jeweiligen Bandvorgeschichten machen aber klar, wohin der Sound geht: Storey war bei Rapoon und davor bei Zoviet France aktiv, Nigel Ayers ist Nocturnal Emissions und Greif ist zwar solo bekannter, hat aber auch bei Static Effect mitgewirkt. So wie der Gesamttitel der Box nur eine begrenzte Anzahl sinnvoller Möglichkeiten in den Anagrammen der Titel der einzelnen CDs („Nail Of Pious Bride", „Perfidious Albion" und „Build A Poison Fire") erlaubt, so sind auch die auftauchenden Sounds limitiert - im Prinzip klingt es, als würden CDs der einzelnen Künstler einfach zusammengemixt, was sicherlich ganz nett ist, aber keine großartige Überraschung darstellt. Dennoch sehr schöne, atmosphärische Tracks in einer sehr schön aufgemachten Box, die später dann nur noch etwas teurer als die einzelnen CDs verkauft werden - da lohnt es, jetzt noch zuzugreifen und das gesamte Werk komplett zu genießen.

1 Nigel Ayers/John Everall/Mick Harris 2 „Mesmeric Enabling Device Parts 1-7" 3 (Soleilmoon/Triton)

Das Presseinfo ist so kultig, daß ich es Euch nicht vorenthalten möchte und einfach übersetze: „Nigel Ayers ist der einzige zeitgenössische Komponist, der wirklich Genie besitzt. Vor vielen Jahren hat er das Konzept individueller Autorenschaft aufggegeben und arbeitet seitdem mit körperlosen Wesen aus der Geisterwelt zusammen. Seit kurzem arbeitet er mit lebenden Personen, die er niemals getroffen hat; für diese CD mit Mick Harris (Scorn, Napalm Death, Extreme Noise Terror, John Zorn, Bill Laswell, Terrorvision) and John Everall (Tactile, Coil, Current 93, Crass, CCCC, Conflict, Crash Test Dummies, Can). Die Aufnahmesessions waren so intensiv, daß Mick Harris sein ganz Studio zertrümmerte und schwor, nie wieder eine Platte zu machen. John Everall hat jeglichen Kontakt mit der Außenwelt abgebrochen und wurde zuletzt beim Schafehüten in Wales gesehen. Zuvor hatte er nur mit Bands zusammengearbeitet, deren Name mit „C" beginnen. Nigel Ayers hat die Sessions geistig und körperlich unversehrt überlebt. Er hat angeblich derzeit 4000 Mal so starke spirituelle Kräfte wie Uri Geller." Da gibts wohl nichts mehr hinzuzufügen...
 
 

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1 BAD SECTOR 2 „Dolmen" 3 (Drone Rec.)

„Dolmen" besteht aus zwei sehr düsteren und eher elektronisch, gleichzeitig aber auch sehr intensiven Tracks mit merkwürdigen Sprachfetzen und mysteriösen Titeln, die in Sachen morbider Wirkung fast die „Hellraiser"-Tracks von COIL in den Schatten stellen.

1 Bad Sector 2 „Polonoid" 3 (Tantric Harmonies)

Oberdramatische Erlebnisse im ureigenen Bad Sector-Sound erwarten uns hier, die weitere Abgründe der menschliche Psyche offenbaren und kaum einen Schimmer Hoffnung aufkommen lassen. Die intensive Mischung aus ultratiefen Drones und Neoklassikpathos passen prima als Soundtracks zu Morden von Serienkillern - in slow motion, versteht sich - und hinterlassen das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen. Nicht umsonst verweist ein Songtitel sowohl auf den Sci-Fi Schocker „Event Horizon" als auch auf die Grenzen Schwarzer Löcher, der Bereich, aus dem es gerade noch ein Entkommen gibt. Besser nicht im Dunkeln hören…

1 BASS COMMUNION V MUSLIMGAUZE 2 „EP" 3 (Soleilmoon / Triton)

Die zwei Stücke dieser EP mit Muslimgauze stammen aus einer Periode wiederholten und gegenseitigen Remixens und Bearbeitens. Die Basistracks sind als solche nicht mehr zu erkennen, im jetzigen Format ist „Six" eine lange rhythmuslastige Up-Tempo-Nummern mit verzerrten Beats; „Seven" hingegen besteht vornehmlich aus einem sich langsam steigernden, rückwärts laufenden Beatloop, hat gegen Ende dann aber doch noch einige Überraschungen parat.

1 Jean Bach 2 „Einen Traum Für Diese Welt" 3 (Dhyana)

Jean Bach ist dann so ziemlich das Obskurste, was mir bisher untergekommen ist: Im Schlager-Outfit und nach ebensolchem Anfang auf das Grundlegenste, nämlich den Rhythmus reduzierter „Techno" - das klingt manchmal so wie die Bässe, die sonntagsmorgens von der Technodisco nebenan herüberwummern und dich zum wiederholten Mal aus dem Schlaf reissen, dann und wann aber auch um einiges vertrackter. Die Titel hinterlassen Fragezeichen ob der Motivation und des Geisteszustandes des Künstlers („Furuftuta's Theme", „Fettmors" und „Frankie, Wir Sind Erst Fünf Minuten In Der Stadt (Du Mußt Dich Nicht Gleich Aufregen) [Bidol Oath Mix]").

1 BISK 2 Time 3 (Sub Rosa)

Hinter der Sub Rosa-typischen Minimalästhetik des Covers verbirgt sich mal wieder ein Killer, und was für einer: japanischer Intelligent Ambient, der manisch macht, immer wieder hypnotisiert und Zeit und Raum relativiert. Ein Strudel abgefahrener Rhythmen reißt bizarre Sounds und Tausende von Samples mit sich, es gibt kein Entkommen. COIL zu ihren besten Zeiten und SILK SAW lassen grüßen. D i e CD des Monats d e s Labels des Jahres!

1 MICHELE BOKANOWSKI 2 „Trois Chambers d'Inquiétude" 3 (elevator bath / Staalplaat)

Die passend betitelten, bereits 1976 entstandenen und bisher nur live aufgeführten „Drei Räume der Unruhe" drücken die Verbundenheit Bokanowskis mit der französischen Musique Concrete-Szene aus, deren VertreterInnen dafür berühmt-berüchtigt waren, stundenlang Türen auf- und zuzumachen, bis der richtige Quietschton aufgenommen war. Auch Bokanowski beschränkt sich auf wenige Soundsources, meist 2-3 menschliche Geräusche (Kindergeschrei, Atem bzw. Seufzen), um sie zu einer äusserst dichten und dementsprechend bedrohlichen Atmosphäre zu verarbeiten. In der anfänglichen Stille jedes Tracks liegt die eigentliche Unruhe, die Spannung, welche düsteren Assoziationen Alltägliches auslösen kann. Einziges Manko ist die Spielzeit unter einer halben Stunde, dafür gibt es Pluspunkte für ein äußerst schönes und aufwendiges Cover.

1 BOLA 2 „Soup" 3 (Skam / Groove Attack)

Very intelligent stuff auf dem Skamlabel aus dem Warp-Umfeld, auf dem schon Sachen vom AUTECHRE-Sideproject GESCOM das Licht dieser Welt erblickten. Bei BOLA besteht die Suppe aus wundervollen Melodiebögen (elektronisch erzeugt), über und unter die sich mehr oder weniger tanzbare rhythmische Strukturen mischen, und das zum Teil sehr behutsam. Das Ganze lädt zum Träumen ein und könnte ein prima Soundtrack zu Luftaufnahmen von Trauminseln sein. In der zweiten Hälfte wagen BOLA dann auch kleinere und größere Experimente wie etwa den 7/8-Takt bei „Amnion" oder den dem PSYCHIC TV-Stück „AL-OR-AL" verwandte Soundtrack im Soundtrack „Aguilla", dessen 7"-Auskopplung schon am Tag der Veröffentlichung ausverkauft war. Hitpotential mit Anspruch!

1 Boulderdash 2 „We Never Went To Koxut Island" 3 (Artelier)

Neues aus dem schwedischen „Monolithic Minds"- (auf Vol. 2 unter dem Namen Juicehead mit dem bezeichnenden Titel „Armchair Traveller") und Spinform- Umfeld. Allerdings setzen Hans Möller und Daniel Skaborn weniger als letztere auf ausgeklügelten Ekklektizismus; Handlungsmaxime scheint hier eher zu sein, trotz Breakbeats möglichst dezent zu klingen - der Barjazz des 21. Jahrhunderts von den zwei netten Jungs von nebenan, die höchstens im Hinterkopf mal schmutzige Gedanken haben, aber eigentlich nichts lieber machen als mal Ferien auf der Insel.

1 Daniele Brusaschetto 2 „Mamma Fottimi" 3 (ZZZ / Suggestion)

Zweites Digitaloutput des italienischen Enfant Ödipale (der Titel entspricht dem frommen Wunsch, seine Mutter möge den Beischlaf mit ihm vollziehen). Auch andere Titel deuten auf eine unvollständige Ablösung von den Eltern hin (zu deutsch: „Sklave", „Kindheitsgerüche", „Märtyrer", „Authorität", „Rückkehr nach Hause"). Doch kommen wir von Pseudopsychologisierungen zur Musik: Im Gegensatz zum Vorgänger „BELLIES/pance" hat Brusaschetto weniger Wut im Bauch; die Gitarre bleibt häufiger unverzerrt, der Drumcomputer stampft weniger - die selten gewordenen krachigen Parts wirken wie das Quängeln eines unzufriedenen Kindes. Vielleicht würde es so klingen, würden Laibach statt schlechten Popsongs mal internationale Einschlaflieder covern.

1 Frieder Butzmann 2 „Vertrauensmann des Volkes" 3 (90 % Wasser / Drone)

Nach über 20 Jahren endlich die Vinyl-Wiederveröffentlichung diese Kultreleases aus der Frühzeit des Industrials for whatever that means. Denn obwohl die involvierten Mitstreiter wie Genesis P-Orrdige und Alex Hacke von den Neubauten die Stossrichtung vorzugeben scheinen, treffen wir hier neben Stimmexperimenten („Gefluester") und Krachigem auch auf Minimalismus, NDW-Sounds und Brechtsche Agitation zu Klavierklängen („Konkurrenz und Sadismus"). End- und Höhepunkt dieses „im Garten der Musikschule Wilmersdorf bei Frieder zu Hause" aufgenommenen Zeitdokuments ist aber sicherlich GPO's gleichzeitige Rezitation seiner Gedichte „Just Drifting" (im Jahr darauf auf dem Psychic TV-Erstling „Force thee Hand of Change" zu musikalischen Ehren gekommen) und „Tales of Death". File under historisch wertvoll.
 
 

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1 Canaan 2 „Brand New Babylon" 3 (Eibon)

Canaan kommen aus der Wave-Ecke, verwenden aber auch Neofolk, Postindustrial und Neoklassik in ihrem „Brand New Babylon". Dabei wirds aber allzu oft sehr pathetisch, und sie schrammen nur haarscharf am pseudo-martialischen Gedöhns der neurechten Kulturkämpfer vorbei (ohne dass es bei Canaan Anzeichen für eine ähnlich krude Gesinnung gäbe). Interessant sind lediglich die ambienten Passagen wie „Disintegrate", „Shelter 1" und „7119", bei denen die Band durchaus Potenzial zu mehr beweist.

1 Jan Cardell 2 „Rytmobile" 3 (Multimood/Triton)

Er hatte sich solche Mühe gegeben und extra computergesteuerte Sulpturen gebaut, damit Lena J.son Sanner daraus Musik machen konnte, und dann ist trotz der vielen Ideen das Ergebnis so eintönig - Robo-Funk? Sorry, das hätte an jedem PC ohne die Skulpturen spritziger geklungen und gehört vielleicht als Rauminstallation in Mussen für moderne Kunst, aber auf CD fehlt einfach ein wichtiger (oder vielleicht sogar der wichtigste) Bestandteil des Gesamtwerks.

1 The Caretaker 2 „A Stairway To The Stars" 3 (V/Vm Test records / A-Musik)

Bereits zum zweiten Mal gräbt der Aufpasser „Ballroom Classics" aus den 30ern aus, um sie wie auf „The Haunted Ballroom" elektronisch zu bearbeiten und zu verfremden. Der Arbeitsprozess scheint nicht allzu aufwendig gewesen zu sein (die knarrzenden Shellacs wurden etwas runtergepitcht, hier und da wurden ein paar Echos und Reverb eingesetzt), ist aber äusserst wirkungsvoll, grad weil das Resultat so nah am Original ist - nur eben als sehr spooky Variante. Taugt gut zum Einsatz bei Horrorfilmen. Es darf getanzt werden.

1 Caul 2 „Hidden" 3 (Eibon)

Ein Track, 59 Minuten - das klingt zunächst nach ausgelutschtem Ambientgedro(eh)ne. Aber weit gefehlt: Hier entwickelt sich ein Mindtrip in slow motion, der Soundtrack zu einem bizarren Traum, der alle paar Minuten eine völlig neue, überraschende Wendung nimmt. Bei jedem wiederholten Hören fallen neue Elemente auf und ergeben sich neue Assoziationen. Gerade diese Vielseitigkeit und der Abwechslungsreichtum machen „Hidden" zu einer der spannendsten Soundscapes überhaupt, und das ohne eine einzige Fieldrecording! Explore your hidden side.

1 CHEMLAB 2 East Side Militia 3 ( Metal Blade )

NY, East Side - da geht meine Phantasie sofort mit mir durch: crime and violence, drugs and cops... CHEMLAB setzen voll auf dieses Image, von der ersten Sekunde mit den gesampleten Schüssen auf „Exile On Mainline" bis hin zum abschließenden „Suck On This"-Mix und einer entsprechendem Militanz auf dem Cover. Verena war aber da, und es ist alles gar nicht so schlimm - Legendenbildung durch Rockmusik also. Die klingt aber wenigstens so, als wäre NY wirklich der schlimmste Ort der Welt und als hätten CHEMLAB eine sehr schwere Kindheit dort verbracht: elektronische Umsetzung von Aggressionen unter Zuhilfenahme verzerrter Gitarren von William Tucker (FINAL CUT, MINISTRY, REVOLTING COCKS). Damit ist die Richtung vorprogrammiert, und sehr viel Spannendes passiert dann auch nicht mehr. Die einzigen Variationen bieten Jareds Vocals, der eben nicht nur schreit, sondern auch mal richtig nett singen kann („Vera Blue" und „Pyromance"), und seine lyrischen Offenbarungen: „Lo revelations at slow revolutions... scratching the light off the horizon... stumbled into overload" („Lo-Grade Fever").

1 CIRCUS OF PAIN 2 „The Swamp Meat Intoxication" 3 (SubMission/CGD)

Unter diesem Projektnamen remixen SWAMP TERRORISTS und MEATHEAD sich selbst und gegenseitig, unter anderem den Hit „Dick Smoker" der letztgenannten und ungefähr zehnmal „Remove my skin". Ganz interessant, doch wie so oft bleiben die Mixe hinter den Originalen und die Kollaborationen hinter den eigentlichen Bandsachen zurück.

1 THE CLAY PEOPLE 2 „The Clay People" 3 (slipdisc / edel)

Rock der schnelleren und härteren Art, auf den Punkt gebrachte Gittarren, aber leider diese furchtbare Rockröhre dazu. Hier und da ein paar nette Ideen, mal düster, mal melodisch, aber insgesamt einfach zu wenig eigenständig, sowohl vom Sound als auch von den Songstrukturen einfach beliebig.

1 COBALT 60 2 „Elemental" 3 (Face Down / edel)

Zeitgemäße Aufarbeitung der musikalischen Wurzeln von De Meyer aus seiner FRONT 242-Zeit: ähnliche Lyrics mit ähnlichem Weltschmerz, diesmal aber stärker mit modernen Technoelementen, Gitarrensamples und einem französischem Text begleitet. Nichts total Überraschendes und Neues, aber gute Abwaschmusik (auch wenn das in der Cyberwelt der Bands mit den Zahlen hintendran vermutlich Maschinen regeln werden).

1 COH 2 „Love uncut" 3 (Eskaton / Target)

Der inzwischen in Schweden ansässige Ivan Pavlov alias COH (sprich'son', russisch für Traum) bastelt weiter fleissig am Kultstatus: Nach einigen hervorragenden Releases auf Raster-Noton kommt es hier zu einer weiteren Zusammenarbeit mit Coil, diesmal sogar auf deren Eskatonlabel. John Balance, Peter Christopherson und Steven Thrower haben bei jeweils einem der insgesamt 4 Tracks mitgewirkt, und so finden wir sehr unterschiedliche Resultate: Zuerst wird Soft Cell's „My Angel" äusserst basslastig gecovert, dann der mir unbekannte „80ies porn-hit" „Fetish" von Vicious Pink. Mit Sex geht's weiter: Steve Thrower stösst ein Gebet für den schwulen Pornodarsteller Russell Moore aus („Prayer for Russell"), und zum Schluss seziert John Balance in „Health and Deficiency: Love's Septic Domain" sich selbst, Zitat: „Ten inches are a monstrous size". Intensive Grenzgänge zwischen Microwave, Dark Electronics und Post-Industrial, die ihresgleichen suchen, und zusätzlich sehr schön aufgemacht mit einer Inlaycard mit Illustration und Infos zu jedem einzelnen Track.

1 COIL 2„Black Light District" 3 (Eskaton / World Serpent)

Die Pioniere der experimentellen Musik (Ex-THROBBING GRISTLE/PTV) melden sich erneut mit sphärischen Ambientcollagen aus den Entzugskliniken zurück, die exakt die musikalischen Entwicklungen der letzten zwei Jahre wiederzuspiegeln scheinen: zunächst (vielleicht handelt es sich um ältere Stücke) im Sinne des Minimalismus und Beliebigkeit von „Worship The Glitch", das weit hinter allen Erwartungen zurückblieb. Dann besinnen sich Balance, Christopherson und Co jedoch auf ihre Stärken, nämlich vielschichtige Collagen mit bizarren Sounds und strangen Rhythmen und zeigen APHEX TWIN und Umfeld in ihren alten Tagen, was eine Harke ist und wo Ambient eigentlich seine Wurzeln hat. Futuristische Kompositonen, vielleicht ist sowas dann in 20 Jahren hip, heute aber gnadenlos revolutionär, wie schon ihr „Meaning What Exactly?" vor einiger Zeit, dessen Komplexität auch kaum noch nachvollziehbar, die im wahrsten Sinne des Wortes psychedelische Wirkung aber berauschend war. Endlich haben sie sich wieder die Ruhe im Studio gegönnt, die nötig ist, damit jeder Sound stimmt.

1 Coil 2 „Musick to Play in the Dark 2" 3 (Chalice/World Serpent)

Ein würdiger Nachfolger zu Vol. 1, und das ist gar nicht so einfach, gehörte das doch zum Besten, was Coil jemals vollbracht haben. Lange Songs mit elektrischem Knirpsen hier und da, düstere, meist gesprochene Lyrics, diesmal wie bei der Solstice-Serie bei „An Emergency" und „Where are You?" mit Unterstützung von Rose McDowall. „Ether" hingegen schlägt den Bogen zu den zahllosen Drogentexten v. a. aus der „Love's Secret Domain"-Ära, jetzt jedoch im neuen Gewand: Tanzbar ist out, und seit Thighpaulsandra dabei ist, sind eher 70s-Orgeln und deren Modulationsmglichkeietn angesagt. Die ersten 500 Exemplare kommen mit 50 Minuten Bonusmaterial vom Time Machines-Auftritt in London, u. a. mit einer Kurzversion (d. h. 14 statt wie original 49 Minuten) von „Queens of the Circulating Library". Gerade der Vergleich mit den Studioaufnahmen macht jedoch deutlich, das Letzteres weitaus besser funktioniert; live hingegen stören Feedbacks und in der Mitte gecuttete Samples. Für Fans dennoch ein absolutes Muß, und im Gegensatz zum Vorgänger angeblich wirklich nur über Mailorder zu bekommen (www.brainwashed.com/coil).

1 Jonathan Coleclough 2 „Windlass" 3 (Korm Plastics / Hausmusik)

Ein weiterer Leckerbissen aus der Korm Plastics-Special Price-Serie (schon Nummer 16), diesmal ein 40minütiger Soundtrack zum Headtrip. Dark Ambient at its best, mit eingestreuten Geräuschfetzen, die Naturassoziationen nahelegen. Damit kommt Coleclough stimmungsmäßig fast an das legendäre Cindytalk-Werk „The Wind blows strong..." heran, wenn sein Sound mit den vielen Drones auch nicht ganz so minimalistisch ist.

1 column one 2 „the excellent listener and column one" 3 ( METHODS TO SURVIVE )

wirres sammelsurium verschiedener geräusche und samples / mischung aus spoken word, postmodernem hörspiel und cut-up-synfonie / column one arbeiteten schon mit GPO zusammen / versuch, dessen konzept der unterwanderung der pop-/u-musik umzusetzen / darin allerdings konsequenter, als es PTV je waren / ähnlichkeiten zu RESIDENTS und NEGATIVLAND / entsprechende themen : werbung, medien, reality-tv, konsumterror, bewußtseinsmanipulation / grundsätzlich keine neue idee, aber interessante variante: arbeit mit störgeräuschen wie wecker, der mich jedesmal wieder nervös macht / track 23: „don`t hesitate to interrupt this CD - there is too much material for them who are going on listening" / demontage von DEPECHE MODEs „World in my eyes" sowie zahlreiche anspielungen auf den gesamten popbiz / musikalisch (wie zu erwarten) zwischen seichtheiten, minimalismen, techno, schönen melodeien und industrialcollagen / WEIRD !

1 COLUMN ONE & DJ UNCLE BRAIN BRIDGE 2 „Classic Chill Out Rhythms" 3 (Dossier / Efa)

Ständig dabei, Alltagsinformationen ihrem normalen Kontext zu entreißen und zu manipulieren, widmet sich das subversive Kunstkollektiv aus Berlin inzwischen allgegenwärtiger Ambientmusik, ohne aber bisherige Themen wie Medien oder Konsum aufzugeben - dafür sorgen z. B. die zahlreichen TV-Samples. Eine neue Form der uns umgebenden Geräusche soll dekonstruiert werden, und dafür schaffen COLUMN ONE erst einmal sechs Musterstücke des Ambienten, um sie aber von Zeit zu Zeit in ihr Gegenteil zu verwandeln und Dir suggerieren sollen, Deine Stereoanlage sei kaputt bzw. Du sollest aus den Ambientträumen aufwachen - allerdings hätten für eine solche Wirkung nicht volle drei Minuten Kabelbrummen in der Mitte eines Tracks sein müssen... Der angestrebte Kultstatus wird durch digitalen Einsatz von Manson / Leary / Burroughs / GPO gewährleistet und der kulturelle Background deutlich gemacht, aber das tut der hypnotischen Wirkung überhaupt keinen Abbruch. Intention und Durchführung sind einzigartig, und auf jeden Fall ist diese Message an die „jilted generation" eingängiger und dadurch viel unterschwelliger als der Vorgänger „the excellent listener" - genial !

1 COLUMN ONE 2 „Classic Chill Out Rhythms 2" 3 (Methods To Survive)

Der Nachfolger zu „Classic Chill Out Rhythms" hat erstaunlich wenig mit seinem Vorgänger, aber genauso wenig mit Chillen zu tun. Stattdessen teilen die mit PSYCHIC TV befreundeten Berliner (De-)Konstruktivisten ihre neue Doppel-CD in zwei „Systeme": U-Musik und Hyperkreativ. System 1 ist vergleichbar mit älteren COLUMN ONE-Veröffentlichungen, deren Prinzip es ja gerade ist, daß sie viele als unvereinbar angenommene Musikstile vereinen (krassestes Beispiel ist sicherlich „The excellent Listener"). Inzwischen trauen sie sich sogar an krautige Sounds und Songstrukturen heran, verwenden Loops aus Edgar Wallace-Filmen und Fragmenten von Tagebuchaufzeichnungen des „zweiten Burroughs" Jürgen Ploog sowie Bontempi-Sounds, die würdig sind, ANDREAS DORAU zugerechnet zu werden. Höhepunkt ist dann eine Hommage an EAST 17 („2 million pepole where we can change thee consciousness and the way they think.") Hyperkreativ hingegegen geht der Frage nach, was den eigentlich produktiv sein heißt, und stellt dafür in zehn Kapiteln mehrere Anrufe vom neunjährigen Bruder eines COLUMNisten namens Konrad vor, außerdem gibt es gemeinsame Sessions mit Kids. Sehr unterhaltsam ist auch das Interview von Paul (ca. 8 Jahre) mit Konrads Oma, ein Dokument von schier unbeschreiblichem Wert für die Beantwortung jener Frage. Ähnlichkeiten zu BIG CITY ORCHESTRAs „A Childs Garden of Noise" (Untertitel: „Four Songs for Kids for Noise All Day") sind mit Sicherheit rein zufällig.

1 Crawl Unit 2 „Stop Listening" 3 (Ground Fault)

Crawl Units CD hätte besser „Use Headphones When Listening" geheißen - allzu viele Feinheiten gehen durch den Lo-Fi-Anspruch des Povertech Industries-Masterminds ansonsten verloren. Der nahezu vollständige Verzicht auf Lautstärkeschwankungen und Dynamik ist beim genauen Hinhören gar kein Nachteil, sondern betont um so sehr die Charakteristik der benutzten Sounds. Ich bin gespannt, wie Crawl Unit in einem Studio oder mit PC klingen würden - vermutlich würde eine Menge Eigenständigkeit verloren gehen.

1 C-SCHULZ + HAJSCH 2 - 3 (Sonig/A-Musik)

Der Klangkosmos von C-SCHULZ + HAJSCH ist äußerst vielschichtig: Fieldrecordings und akustische Instrumente, v. a. solche zum Blasen und die mit Saiten. Dem Ergebnis werden Schubladen wie Musique Concrete und Ambient kaum noch gerecht, aufgrund der Sounddichte werden höchstens Erinnerungen an das frühe Hafler Trio oder einige zoviet*france-Sachen wach. Mit vielen Gastauftritten, u. a. das Kölner Original Harald "Sack" Ziegler am Horn.

1 CURRENT 93 2 „All The Pretty Little Horses" 3 (Durtro / World Serpent)

Wie zu erwarten wunderschöner „apokalyptischer dark folk" der Band um David Tibet, die sich in immer anderer Zusammensetzung in den frühen Achtzigern dem Industrial zwischen Noise und Ritual zu Ehren des Antichristen verschrieben hatten, spätestens seit der Läuterung Tibets zum Buddhismus aber nur noch darauf aus ist, mit Hilfe von Akustikgitarre und gelegentlichen Klangcollagen das Gute in die Welt zu tragen:"The Inmost Light", am häufigsten verwandtes Wort dieser CD. So produzieren sie seit Jahren regelmäßig ein Kleinod nach dem anderen für die besonders romantischen Stunden, die sich aber alle nicht sonderlich unterscheiden. Auch diesmal handelt es sich um eine Mischung der vorangehenden Alben - zuerst noch etws die Stimmung von „Of Ruine..." vergegenwärtigen, dann gehts aber doch in Richtung experimentellere Stücke der „Thunder Perfect Mind": „Twilight Twilight Nihil Nihil" erinnert stark an dessen Titelsong, „The Bloodbells Chime" (Vertonung eines Alptraums Tibets) und „The Inmost Light Itself" an das geniale „All The Stars Are Dead Now". Besonderheit der CD ist der Gesang von Nick Cave bei zwei Songs, dessen Pathos sich prima mit dem Tibets vermengt. Schade nur, daß die schöne Stimme Liliths nicht so oft zur Geltung kommt wie früher, gerade der Kontrast zwischen ihr (oder noch stärker damals Rose McDowall) und der morbiden Faszination Tibets war ein besonderer Reiz der Band.
 
 

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1 DAMO SUZUKI BAND 2 V.E.R.N.I.S.S.A.G.E. 3 (Damo Suzuki Network)

The return of the incredible CAN-singer auf einem eigens dafür gegründeten Label, vorerst mit einem Konzertmitschnitt von 1990, bevor es auf US- und Europatour geht und eine 7-CD-Box mit Liveaufnahmen von 1987-1990 veröffentlicht wird. Die Band besteht aus einem weiteren ex-CAN-Mitglied (Jaki Liebezeit an den Drums) sowie zwei Musikern von DUNKELZIFFER, Damo Suzukis erster Post-CAN-Band.. Die musikalische Richtung ist also klar, umso mehr, als die CANschen „Halleluwah" und „Mushroom" in ein 27minütiges Medley eingearbeitet wurden. Eine spannende Vorankündigung in einfallsreicher Kartonverpackung; nun müssen sie zeigen, was sie heute noch drauf haben.

1 Darchives 2 „Scenario" 3 (Artelier/indigo)

Das Szenario, das sich hier darbietet, ist denkbar düster: Schwere Breakbeats, ein paar Stimmsamples in 5 sehr langen Tracks - das wars, und doch lassen Darchives nicht los. Was schon auf dem zweiten Teil des schwedischen Kultsamplers „Monolithic Minds" überzeugte, wird hier in aller Konsequenz zu Ende geführt und auf den Punkt gebracht. Kein Schnörkel zuviel, keine Remixe, um Zeit zu schinden: eine kompakte EP, wie wir sie gerne hören!

1 Deep / Hygienica 2 „Split" 3 (Like A/An Everflowing Stream)

Deep-Tonträger sind mit der Brachialität ihrer Liveauftritte kaum vergleichbar - hier geht es viel ruhiger und (angesichts zweier Bässe auch kaum überraschend) düsterer zu: 4 lange Tracks zwischen 80er und 90er-Sounds mit Indieanleihen („Orbium Dubiosum" ) und Wutausbrüchen mit genialem „richtigem" Schlagzeug (das Stück mit dem japanischen Titel). Vereint gut die Stärken der „Deepfreezeaberdeen", ohne aber so einen Knüller wie den Breakbeat-Remix zu wiederholen. Hygienica hingegen sind sehr viel minimalistischer und zuweilen sehr statisch, ohne allerdings allzu subtil mit ihren Sounds umzugehen: Da wird ein Brummen oder ein Dröhnen in den Raum gestellt, ohne daß klar ist, was das soll oder wohin sich das entewickeln soll; eher enttäuschend.

1 De Fabriek 2 „Quatro-Erogenic-Occupy-Theme's" 3 (Moloko + / Target)

12 mal Neues von einer der wenigen verbliebenen Veteranengruppen aus der Frühzeit von Industrial und selbstkopierten Tapes (so was gab's mal!). Still around and still strong, denn es wird zwar den Roots immer wieder gehuldigt - so tönt es manchmal arg sakral wie die frühen Current 93, dann wieder eher wie Nocturnal Emmissions zur „Spiritflesh"-Phase mit vielen natürlichen Fieldrecordings - doch die holländischen Fabrikarbeiter sind Neuem immer wieder äußerst aufgeschlossen gegenüber. Und vor allem mixen sie alles von Industrial über Technoelemente bis zu Harsh Noise und eben Wasserplätschern zu einem ureigenen Gesamtkunstwerk, eben „Quatro-Erogenic-Occupy-Theme's" (was sonst?) und versehen es mit einem verwirrend-schönen Cover in Column One-Ästhetik - Respekt!

1 Delphium 2 „Nobody Sees the Monster in the Light of the Day…" 3 (Moloko Plus/Target)

Wer seine eigene Drum & Bass-Remixplatte „Don' t fuck with Demons" nennt, sollte eigentlich vorgewarnt sein, daß danach nichts mehr so ist wie vorher - im Falle von Delphium ist eine klangliche Erweiterung aber durchaus positiv. Die düsteren Electronics werden nun eben nicht mehr nur durch dubbige Beats a la Scorn zusammengehalten, sondern wir begegnen neben zerfahrenen Breakbeats auch fast poppigen Elementen, nur um gleich danach in komplexe Soundscapes abzutauchen („Bark at Ants"). Dank der Demons at Work (so ist Al.x von der Remixplatte hier an der Produktion beteiligt) also die bis dato vielschichtigste Veröffentlichung, die gespannt auf mehr macht.

1 Delphium 2 „Our Tribe of Nothingness" 3 (Speeding Across My Hemisphere)

Delphium ist mit der „How can you hide from something that never goes away"-CD und v. a. den D&B-Remixen von Al.x („Don't fuck with demons") schon bekannter: Experimenteller Sound trifft auf Drumloops aus Scorn- bis Coil-Untiefen. Hier gibts dreimal älteres Material, das Titelstück fast schon tribalistisch-technoid, dann jedoch stärker soundorientierter: „a.s.l." und „never drem never feel", die für alles stehen, was Delphium so besonders machen und die den Vergleich mit den großen Brüdern nicht zu scheuen brauchen. Erhältlich über: Suggestion, PO 1403, 58285 Gevelsberg - suggestion-rec@gmx.de

1 Delphium 2 „Self Vs. Self EP" 3 (Disaster Area)

Delphium is dead - der erste Titel einer von drei gleichzeitig erscheinenden 10"es trifft es genau: Was hier zelebriert wird, hat mit bisherigen Veröffentlichungen kaum noch etwas gemein. Waren „How can you hide…" und „Nobody sees the Monster in the Light of the Day" noch stark von Dark Dub aus der Scorn-Ecke geprägt, herrscht hier wummerig-krachiger Drum & Bass, und zwar noch radikaler als auf der Remix-12" mit DJ Al.x. Wenn hier was holpert, dann soll das so - da war ich mir früher bei Delphium nie so sicher.

1 Detonators 2 „Lifetime Guarantee" 3 (Speeding Across My Hemisphere)

Detonators aus dem Headbutt-Umfeld scheren sich wenig darum, in irgendwelche abgedroschenen Kategorien einzuordnen zu sein. Vier kurze Tracks („incombustle i-iv"), die teilweise wie Ausschnitte aus der Frühzeit von Current 93 klingen, umrahmen zwei einfach schöne Lieder (ja!), die auch von Stereo Total sein könnten ( „Dans ton coeur" mit diesem erotischen Akzent legt das natürlich sehr nah). Pop? Erhältlich über: Suggestion, PO 1403, 58285 Gevelsberg - suggestion-rec@gmx.de

1 Francis Dhomont 2 „Cycle du Son" 3 (empreintes DIGITALes / Drone)

Dhomont widmet die vier Teile seines Soundzyklus dem „Erfinder" und radikalen Verfechter der Musique Concrète, Pierre Schaeffer. 50 Jahre nach dessen „Étude aux Objets" verwendet er das selbe Ausgangsmaterial, um in „Objets Retrouvés" und „Novars" seine eigene Vision der Klangmalerei zu entwerfen. Auch „AvatArsSon" greift auf Schaeffer zurück, spannt aber samplend den Bogen über Pierre Henry zu Stockhausen und Xenakis „and others too numerous to name" und schafft damit die ultimative Metakomposition der Neuen Musik. Doch damit nicht genug: Im letzten Teil restrukturiert Dhomont Versatzstücke der anderen drei Teile zu einem neuen Ganzen, der Zyklus schliesst sich und lässt uns staunend die Repeattaste drücken.

1 DISSECTING TABLE 2 Why/Camouflage 3 (Suggestion)

DISSECTING TABLE sind das japanische Äquivalent avantgardistischer Kulturkritik und beglücken uns auf der neuen 7" (nach mehrfachem Industrial in digital) mit zwei Happy Grindcore-Tracks mit Computer und Glockenspiel oder so. Kontakt: Suggestion, Po 1403, 58285 Gevelsberg

1 DIVERSE 2 „Asia Lounge" 3 (audiopharm / SPV)

Die Auswahlkriterien für diesen nach „Afrotronic" und „Brazilectro" dritten Sampler mit „flavoured club tunes" scheinen nicht so klar gewesen zu sein - der Lounge-Faktor ist deutlich höher als der Asia-Faktor. Denn wie sonst ist es beispielsweise zum Thievery Corporation-Opener „Lebanese Blonde" gekommen, wenn nicht mit der Assoziation, dass Libanon ja auch irgendwie in Asien liegt? Anyway, der Track ist dennoch groß, und es geht gleich weiter im „Wir sind doch alle Asian"-Rundumschlag: Stereo MCs (im Remix), Jimi Tenor, Banco de Gaia und Massive Attack wegen der Namen, Talvin Singh wegen der Hipness (zum Glück mit „Light" ein Track von „OK" und nicht vom neuen Sellout-Album) und Nusrat Fateh Ali Khan wegen der Street Credibility. Letzterer ist übrigens mit einem Remix von wiederum Talvin Singh vom überragenden Sampler auf Real World vertreten. Natürlich gibt es auch einige Perlen, die es zwischen all der Prominenz zu entdecken gibt, als da wären Da Lata („Binti"), Sound Surgeons („Najeema"), Alien Soap Opera („Voaldores"), Calcutta Offroad („Anything Mentioned?"); Jolly Mukherjee mit dem Madras Cinematic Orchestra („Kirwani") und Black Star Liner, die schon auf der „Eastern Uprising"-Compilation positiv auffielen. Unverzeihlich ist hingegen, dass das britische Outcaste-Label (Badmarsh & Shri, Nitin Sawhney) komplett vernachlässigt wurde!

1 Diverse 2 „Between Sun & Moon" 3 (Amplexus / Triton)

Gemeinames Element aller hier vertretenen KünstlerInnen ist neben der Tatssache, daß sie auf einem kleinen italienischen Label sind, ihre Kombination von ambienten Drones mit Ethno-Elementen: Stimmsamples, Percussion, Didgeridoo - das volle Programm. Empfohlen also nur für alle, die bei verhallten Flöten keine Krise kriegen - wer sich aber drauf einläßt, wird garantiert mit einem gelungen Amplexus-Querschnitt belohnt. Obwohl fast ausnahmelos alle Stücke schon vorher erschienen sind, passen sie einfach prima zusammen - vielleicht besser als auf den ursprünglichen Veröffentlichungen?

1 DIVERSE 2 „bip-hop generation [v.1]" 3 (bip-hop / Target)

Der vorliegende Sampler ist Prototyp einer ambitionierten Reihe des französischsprachigen Webzines www.bip-hop.com, die verschiedene Spielarten elektronischer Musik präsentiert. Jedes Jahr sollen 4 weitere Cds erscheinen, auf jeder in zehnminütigen Beiträgen Innovatives, Vertrautes und Experimentelles. Für weitere Volumes haben sich bereits äußerst spannende Acts angekündigt, u. a. Datach'i aus den USA und Francisco Lopez. [v.1] beginnt mit streckenweise fast lieblichem Trip-Pop von Marumari, der Sprung zu den düster-noisigen Sounds von Schneider tm ist da gewaltig. Massimos Minimal Techno hingegen ist eine ideale Einstimmung auf den Microwave von Goem und Ultra Milkmaids ambiente Experimente. Phonem bricht die Ruhe dann zum Abschluss mit düsterem Drum & Bass, der prima in die „Monolithic Minds"-Reihe gepaßt hätte, käme er aus Schweden und nicht aus Leipzig. Gerade diese musikalische Auswahl und die Vielfalt macht gespannt auf mehr Sounds der „bip-hop generation".

1 DIVERSE 2 „Bip-Hop Generation [v.2]" 3 (Bip Hop / Target)

Der zweite Teil dieser Serie mit dem hehren Anspruch, gute Musik dem geneigten Publikum näherzubringen, beginnt mit Bernhard Fleischmann und Arovane überraschend poppig, fast schon in der Easy Listening-Ecke. Die im Beiheft versprochenen „adventurous bleeps" werden erst bei Warmdesk angedeutet (wenn auch nur verhalten), und die anschließenden vier Köhn-Tracks sind so synthielastig, wie zu befürchten war. Vom Pioniersgeist der ersten Compilation ist leider wenig übriggeblieben, und die wirklich interessanten Sachen kommen erst gegen Ende: Wang Inc.'s „Sadness for Numbers" und v. a. die zwei letzten Stücke von Laurent Pernice („Kling-Klang" und „Le bon vieux temps"). Hoffen wir, dass die bald anstehende dritte Ausgabe daran anschließen kann!

1 Diverse 2 „Bip-Hop Generation Vol. 3" 3 (Bleep / Hausmusik)

Entwarnung! Nach der streckenweise doch recht seichten zweiten Ausgabe des Elektronika-Samplers wird jetzt doch wieder auf Innovation gesetzt, und das ist auch gut so. Was mit Ninja Tunes von Neotropic (später in einigen Variationen auch bei Pimmon zu finden) beginnt und mit Abstract Beats von Bovine Life fortgesetzt wird, gipfelt in einem fulminanten 14-Minuten-Track von zonk't alias Laurent Perrier von Heal. Der lässt nämlich auf eindrücklich komplexe Weise Experiment und Melodie verschmelzen, was locker mit neueren Coil- oder Aphex Twin-Beiträgen zum gleichen Thema mithalten könnte und prima ins Mille Plateaux-Labelprogramm gepasst hätte. Direkt danach folgt Atau Tanaka mit Sounds, die auf den Frequenzanalysen von gescannten Fotos basieren - äußerst interessant und viel angenehmer zu hören, als der technische Vorgang vermuten lässt. Die drei Tracks von Novel 23 bilden einen nett-gemütlichen Ausklang mit verstärktem Hop-Element - alles in allem also ein Muss für Freunde von State of the Art-Electronics!

1 DIVERSE 2 „The Cocktail Event" 3 (Staalplaat)

Ein Sträußchen Buntes von einem Trip durch Obskuristan (fast ausnahmelos Liveaufnahmen der COCKTAIL FESTIVAL Konzertserie im Oktober 1997): bizarre Bläsersätze der HEILSARMEE FRIEDENAU a.k.a. BOLSCHEWISTISCHE KURKAPELLE (Bonuspunkte für den Bandnamen) treffen auf die PLUNDERPHONIC ALL STARS incl. PUBLIC WORKS (die ehemaligen TAPE BEATLES) mit Sampleorgien („...in die Fresse rotzen"), Heavy Electronics von BMB CON (während des Soundchecks) und COC CASPAR mit einer extra aufgenommenen CD von DANIEL MENCHE, da dieser nicht kommen konnte. Außerdem gibt es Stimmexperimente und Feedbackorgien an der Grenze zum Unerträglichen, aber auch die isländischen STILLUPSTEYPÜA aus dem HAFLER TRIO-Umfeld, die mir hier besser gefallen als auf ihrer diesjährigen Tour.

1 DIVERSE 2 „Drug Test Three" 3 (Invisible / We Bite)

Labelüberblick zwischen „real Underground" und Randbereichen des Mainstreams, größtenteils in bereits veröffentlichten Versionen. Hier tummelt sich Durchschnitts-D&B (BAGMAN) neben Old-School-Trance (NOT BREATHING), TEST DEPT. in neuer Höchstform neben PSYCHIC TV-Remixen aus der hausbackenen Acid-„Infinite Beat"-Zeit, PHYLR mit einem represäntativen Track des neuen Albums (vgl. Review in INTRO 56), SCORN (wie immer) und eine AMMER/EINHEITsche „Sprechmaschine" aus „Deutsche Krieger", die mit Kaiser Wilhelm-Reden und teutonischen Beats vergeblich den Anschluß an die Größe der ersten Post-NEUBAUTEN-Hörspiele wie „Radio Inferno" sucht. Zusätzlich noch Ambient von DEAD VOICES ON AIR VS. NOT BREATHING und den genialen LAB REPORT - nicht zuletzt heißt das Labelmotto „Independence and Strength through Diversification".

1 Diverse 2 „Eclipse" 3 (Moloko Plus)

Der genaue Sinn dieses Samplers bleibt im Unklaren. Selbst der nach Lesen der Linernotes (ein Text von Augenoptikern zur Sonnenfinsternis) entstehende Verdacht, Inszenierung des Banalen könnte als kleinster gemeinsamer Nenner fungiert haben, ist angesichts der Burroughs-Samples im Skrank! (ex-Industrial-Mohr)-Stück oder dem gelungenen „Pathology Cut" von Project Skull (leider nur knapp über 1 Minute lang) nicht wirklich überzeugend - da können sich Column One (das Stück mit den Edgar Wallace-Samples von der „Classic Chill Out Rhythms 2"´") und Alp (mit Depeche Mode- und Miles Davis-Samples!) noch so sehr Mühe geben. Auch der Herbst in Peking-Versuch, Rammstein in lieb zu spielen, hilft da nicht mehr. Vielleicht einfach nur der endgültige Beweis, das es im Spätkapitalismus einfach viel zu viele unnötige CDs gibt...

1 Diverse 2 „format 5" 3 (tourette / A-Musik)

Die auf „format 5" dokumentierten Beiträge zum diesjährigen Berliner Festival „signaturen elektronischer klangkunst" waren ursprünglich als Mehrkanalstücke für den Zentralraum einer Kirche konzipiert und wurden für die CD zu Stereofassungen bearbeitet. Das tut der Komplexität aber keinen Abbruch - die usual supects Fennesz, Zeitblom und das Rater.Noton-Trio Bender, Bretschneider und Nicolai, die zusammen schon 2/3 der Gesamtzeit beanspruchen, wissen einfach, wie sie ihre Soundscapes zu basteln haben. Ob als Environmental Listening, rhythmusbetont mit Clicks und Cuts oder als an Cages „William's Mix" erinnernde Sampleorgie „Radio Fractal" von Wolfgang Mitterer, ob improvisiert oder komponiert: Diese Musik schafft (Klang-)Räume, die mensch eigentlich gar nicht wider verlassen will - bis zum Rausschmissknall in letzter Sekunde.

1 Diverse 2 „Hate People Like Us" 3 (Staalplaat / Target)

Jetzt werden die Stars des Plunderphonics selber geplündert: 2 CDs lang gibts Remixes, Covers und Neukreationen in der Tradition von Vicki Bennett alias People Like Us, unter anderem von den Vorzeigeplunders Negativland und Stock, Hausen & Walkman, aber auch Coil mit einer überraschenden Gratwanderung zwischen Hafler Trio-Sounds und den Vocals der letzten Maxis. Die Richtung ist somit abgesteckt: Chaos ist angesagt, meist sehr humorvoll, aber zwischendrin finden sich auch immer mal wieder tanzbare Drum & Bass-Versatzstücke oder Rhythmusloops. Dann wieder werden die Schnittstellen von Dadaismus, Noiseculture und Volksmusik ausgelotet, oder Heimat- und Skifilme (deutschsprachig!) klingen plötzlich wie Sounds aus billigen B-Movies der Siebziger. Cut up and destroy, so daß alle ihr Fett abkriegen, mölichst die Alltags-Trash-Kultur. Niemand beweist uns eindringlicher, daß das Leben eine einzige Soap Opera ist.

1 Diverse 2 „Le Jazz Nom" 3 (Smalltownsupersound / Cargo)

Bei dieser „Compilation of Norwegian Noise" startet Noisehead Lasse Marhaug mit „Light Silence" (sic!), die natürlich alles andere als still ist. Eher scheint das Zappaeske Motto „Make a Jazz Noise here" Pate gestanden zu haben, denn in der Tat wechseln sich elektronisch erzeugter Nu Jazz, Noise und Soundscapes in einem munteren Reigen ab. Die Zuordnung zu bereits bekannten Acts wie Electro Nova, Jazzkammer und Arm fällt ohne Blick auf die Anzeige des CD-Players schwer, aber das macht grade den Reiz aus. Full of Surprises!

1 DIVERSE 2 „Kicking Ass and Sucking Gas" & 2 „Prime Time" 3 (beide Artelier / Alive)

Endlich so was wie ein Nachfolger für die zwei grandiosen „Monolithic Minds"-Sampler, die uns SüdländerInnen mit schwedischem Drum & Bass vertraut machten und gleich infizierten. Diesmal gibts je zwei mal Spinform und Pro-Seed, bekannt von Vol. 1 respektive 2, sowie drei Slyboots- und einen Boulderdash-Track - beide Bands brillierten schon mit eigenen Alben auf dem gleichen Label. Anders, als der großspurige Titel nahelegt, sucht man hier die „Ab durch die Mitte"-Stücke vergebens, und „4 to the Floor" gabs ja eh nicht. Verhaltener Ekklektizismus ist angesagt, Mid-Tempo-Stücke mit mittlerem Komplexitätsgrad, genau richtig für Tage, an denen sich das Wetter nicht zwischen Frühling und Sommer entscheiden kann. Der „Prime Time"-Sampler bringt dagegen leider gar nichts Neues; alle Stücke stammen von bereits veröffentlichten Alben bzw. Labelsamplern. So gehts einmal quer durchs Labelprogramm mit Kroms Trip Hop, Darchives' und Yogas Breakbeats und Amen, deren Opener „Half Way Inn" aber leider nur halb so gut ist wie „Goes Like Evvy" - da wär mehr drin gewesen.

1 DIVERSE 2 „Lackmeyer`s Eiland" 3 (Mekka Conserveci)

Leider kann ich den richtigen Namen nicht mitliefern, da mein Comp keine kyrillischen Schriftzeichen hat... Auch das Gesamtbild der CD ist ebenso skurill wie liebevoll, vereint sie doch auf 22 Titeln 21 Gruppen der Indie-/Undergroundszene aus 10 verschiedenen Ländern, wobei besonders viele aus Osteuropa vertreten sind. Auch musikalisch wird auf absolute Vielfalt Wert gelegt: Los geht`s mit dark electronics (SINGLE SWINGERS), um im nächsten Moment erst rockig, dann jazzig zu werden (JUGENDSTIL, später auch COUCH OF SOUNDS). Zwischendurch gibt es Klassiktöne, mutierte NDW - Sounds (DON STÄNDER), auch schon mal Punkrock und sogar Zwölftongesang ! Bei dieser Zusammenstellung wundert es um so mehr, daß absolut kein Ausfall dazwischen ist, die Songs passen sich so einfach zu einem großen Mosaik der Subkulturen zusammen - Lob für die Auswahl ! Booklet (mit kleinem Poster zum Ausklappen) wie auch die meisten Texte wirken sehr surreal, sind aber alle übersetzt (zumindest immer deutsch / englisch) und bilden noch mal ein Mikromosaik für sich : Da geht es um soziale Realität („Handel"), Figurenläufer auf rosa Eis („Figuristi 1242"), die „Schwefelwelt", den „Guten Zar..." und eine Hommage an Majakowski... Dieses Projekt ist absolut unterstützenswert und ideal geeignet für eine Entdeckungsreise durch den internationalen Untergrund. „Bombs, critics and excrements to Mekka Conserveci, c/o Martin Hoffmann, Walter-Rathenau-Str. 17, 40589 Düsseldorf"

1 DIVERSE 2 Monolithic Minds 3 (Artelier / TIS)

Just another Drum & Bass - Compilation, aber diese kommt aus Schweden! Zehnmal Exklusives oder Gemixtes von Sweden`s Finest, wobei Track 1 von AMEN und 6 von NAID jeweils paradigmatisch für die folgenden 4 sind und das Album in eine mellow und eine belebtere Hälfte teilen. Zunächst jazzige Laidbackness (MIGHTY KOHN) oder Darktranciges voller Geheimnisse („Too Many Secrets" von SECRET OPERATIONS, das auf jeden Sampler draufgepaßt hätte, der in memoriam für Gilles Deleuze rausgebracht wurde), dann eine Steigerung hin zum bereits erwähnten Überhammer „Módir" von NAID im SECRET OPERATIONS-Mix: aggressive Brekbeats jenseits von 4/4 und bluenote-Samples, die Beine und Neurotransmitter gleichermaßen beanspruchen. Nächster Höhepunkt ist GRAND NIP mit „Nip", die die Mainthemes von obskuren TV-Serien oder B-Movies aus den Sechzigern ins kommende Jahrtausend katapultieren. Bis zum wirren Breakstampfoutro von SOCIETY ist dann kein Chillout mehr zu erwarten... BASSINYAFACE!

1 Diverse 2 „Monolithic Minds Vol. 2" 3 (artelier / AREA Entertainment)

Nach der 97er-Überraschung jetzt die Fortsetzung des schwedischen Drum & Bass-Hammers: Wieder wechseln sich jazzig-verspielte Tracks mit wahren Brettern ab, meist sehr elaboriert und immer way funky, das Ganze. Alte Bekannte vom Vol. 1 sind nur Eclectic Bob und Grand Nip, die damals schon überragten. Unter den Newcomers fallen v. a. die sehr perkussiven und erfrischend minimalistischen Spinform, die „schmerzvollen" Darchives und die punkigen Perphane positiv auf.

1 DIVERSE 2 „Noisefactory 1995" 3 (SteinSein)

Mit dieser CD werden die Ergebnisse eines Workshops präsentiert, der im August letzten Jahres abgeschnitten von der Außenwelt eine Woche außerhalb von Hamburg stattfand („ 13 musicians - an old framework house in the countryside - 8 days & 7 nights - no telephone - no TV - harmony & cosiness - many flie - maany differnt instruments - 4 recording rooms - ...") Vertreten waren namhafte Undergroundartisten (und eine Frau) aus dem Industrialbereich zwischen Ambient (MAEROR TRI, PARANOISE TERMINAL) und eher klassischeren, noisigeren Seiten (RABENHIRN). Aus über 13 Stunden Material wurde dieser Querschnitt ausgewählt, um zu zeigen, wie sich die immer neue Zusammensetzung einzelner Projekte positiv auf die Experimentierfreude auswirkte. Schon aus der endlosen Instrumentenliste im übrigens äußerst ansprechenden Booklet läßt sich da einiges erahnen... Absoluter Höhepunkt der CD ist sicherlich das Stück „20 Minuten", an dem alle 13 MusikerInnen beteiligt waren ! Aufnahmeraumweise wurden einzelne Spuren hergestellt, die abschließend zusammengemixt wurden - das Verblüffende: es paßt prima zusammen, und ist in seiner Vielschichtigkeit unerreicht. Eine interaktive Achterbahnfahrt abgefahrener, z.T. aber auch sehr subtiler Sounds - hier ist aktives Hören gefragt. Lohnt sich auf jeden Fall, solche Projekte sind absolut unterstützenswert !

1 DIVERSE. 2 Noise-Factory 2 3 (Stein Sein / Archegon)

Zweite Dokumentation des jährlichen stattfindenden Workshops für experimentelle Musik an den Grenzbereichen von Postindustrial, Ambient und vielleicht Musique Concrete. Das Ergebnis ist diesmal durchweg leichter zugänglich als auf der Vorgängerin, das bedeutet natürlich nicht, daß jetzt Easy Listening rausgekommen wäre. Soundtracks for your mind mit etwas elektronischem Gefrickel, auf obskure Weise zusammengestellt. Leider wird diesmal nicht deutlich, wer mit wem die einzelnen Tracks produziert hat, und so etwas wie das Vorjahres-Metastück „20 Minuten", bei dem 4 Tracks mit insgesamt 13 Beteiligten zusammengemixt wurden und auf dem es immer wieder neue Sounds zu entdecken gibt, sucht mensch vergeblich. Dafür aber gibt es z. B. „triphop", das diesen Namen wirklich verdient hat, auch wenn es nicht das geringste mit TRICKY und Co. zu tun hat. Wird Zeit, daß die dritte Noise-Factory die neuesten Entwicklungen hin zum Rhythmus dokumentiert.

1 Diverse 2 „Slumbermusic" 3 (Universal Egg / Konkurrent)

Auf den ersten Blick abgefahrene Konzeptcompilation auf dem Zion Train-Label: Die CD soll während des Schlafens auf Random und Repeat gestellt werden und so tolle Ergebnisse produzieren. Allerdings sind die meisten Tracks schon vorher veröffentlicht worden, von Konzept kann also nicht die Rede sein. Das Maeror Tri-Stück wurde sogar aus dem Kontext der wirklichen Konzept-CD „Multiple Personality Disorder" gerissen, da ist wirklich die Frage, was passiert, wenn es wiederholt nachts gehört wird... Auch Beequeens „The House I Live In" gabs schon zuvor, hat aber nichts von seiner Schönheit verloren. Lediglich Zoviet * France steuern Exklusives bei, und zwar 19 Liveminuten von 1995, vergleichbar mit der „In.Version" aus dem Jahr danach, allerdings mit einigen Knarzern mehr, die aber der Magie ihrer Soundmalerei keinen Abbruch tut. LOSDs Re-issue ihres Vinyl-Debüts läßt sich dann leider nicht mit dem hohen Maßstab ihres „The Man Who Made Radio"-Beitrages für die Staalplaatsche Mort Aux Vaches-Serie messen, und das Abschluß der Charlesworth Family ist leider sehr dumpf und wird wohl auch nicht süße Träume bescheren. Schade eigentlich, die Idee war gut.

1 DIVERSE 2 „The Sound Works Exchange 2" 3 ( Shinkansen )

Das zweite Dokument der alljährlich stattfindenden Workshops für experimentelle Musik des Goetheinstituts London kommt diesmal fast ganz ohne die „großen Namen" der Szene aus, ist dafür aber auch nicht so ernsthaft wie der Vorgänger. Zumindest in der ersten Hälfte wird viel mit Stimmmanipulationen gearbeitet, ob nun auf Anfufbeantwortern über DAVID BOWIE geredet wird („we love you dave") oder PEOPLE LIKE US auf „a sampler" eben diesen in NEGATIVLAND-Manier benutzen, um Verwirrung zu stiften. Nach einigen ambienteren Instrumentaltracks wirds dann noch mal tanzbar, wenn Drum`n Bass mit Trancesounds vermischt wird („phusion hot dog") oder beim impressionistischen „live at the leisure lounge" - relax, have fun!

1 Diverse 2 „They've Got The Whole World At Their Hands" 3 (Methods to Survive Network System / Hausmusik)

Ein Kessel Buntes aus dem Hause Methods to Survive a. k. a. Subkommando der Medienterroristen Column One. Natürlich ist dies nicht irgendein Sampler, sondern eine wirkliche Network-Produktion, d. h. einige der Beteiligten wußten gar nicht, was die anderen so machen... Dementsprechend klingen die teilweise stark nachbearbeiteten Tracks von Vance Orchestra, Illusion Of Safety, Muslimgauze, S-Core etc. auch nicht so sehr aus einem Guß wie beispielsweise die diktatorischeren Laswell-„Gemeinschafts"-Projekte. Dafür ist hier zwischen Low-Fi-Trash und Soundscapes Vielfalt und kollektivistischer Esprit angesagt. Trotzdem will ich mir nicht vorstellen, wie's wäre, wenn sie wirklich die ganze Welt in ihren Händen hätten.

1 DIVERSE 2 Untitled (ten) 3 (Extreme / Area Entertainment)

Extreme wird zehn Jahre alt und schenkt uns zum Geburtstag diesen feinen Sampler, auf denen die Labelhighlights wie FETISCH PARK, MUSLIMGAUZE, SKÙLI SVERRISSON und MERZBOW (wurden alle schon in den Hörtests der letzten Intros vorgestellt) auf unveröffentlichten Tracks beispielhaft demonstrieren, was sie so können. Leider kommt dabei eine ziemlich wirre Mischung raus, die den roten Faden ein wenig vermissen läßt; das Potential der einzelnen Bands wirkt über die volle Länge einer CD viel mehr als hier in maximal 10 Minuten. Die zweite CD enthält dafür einen unglaublichen Megamix aus zehn Jahren Labelgeschichte. SOCIAL INTERIORS wachsen über sich selbst hinaus und zeigen eine ganz andere Seite als bei den (ebenso genialen) Soundscapes „The World Behind You" und „Traces Of Mercury" - hier gibt es Cut-Ups, Drum&Bass, Ambient, Techno und einfach obskure Mixe der anderen ExtremistInnen, digital oder analog, mit Sequenzer, MiniDisc oder Tapes erstellt und sehr abgefahren.

1 Diverse 2 „We Don't Care About The Haircut" 3 (Dhyana)

Unglaublicher Sampler mit Nik Kershaw-Covers, natürlich mit allen Hits, nur an „The Riddle" hat sich anscheinend niemand rangetraut. Nach eher lauem und bewußt dilletantischen Anfang in NDW-Tradition gibt es dann wirklich ein paar Perlen: Deep-Bassist Bernd Spring mit Motorpsycho-Gesang, Yacopsae mit Knüppelcore-Version von „I Won't Let The Sun Go Down On Me" und der Knüller Inox Kapell mit deutscher Übersetzung von „Wouldn't It Be Good" („Das Gras Ist Immer Grüner Auf Der Anderen Seite"). Anemone Tube interpretieren „Save The Whale" eher industriell, als der Titel vermuten lassen würde, und Column One bekommen zwar einen Bonuspunkt, weil sie BlackJewishGays featuren, schneiden aber mit ihren anderweitig veröffentlichten Psychic TV Coverversionen deutlich besser ab als mit Nik. Wie schreibt doch dessen Manager: „I'd also doubt whether it would be very popular with Nik's 'old' fans", zu denen sich die meisten der Mitwirkenden ja doch offensichtlich selbst zählen.

1 DJ Scud / Bombardier / N1tro 2 „Three the hard way" 3 (CFET / Target)

„Cross Fade Enter Tainment presents the ultimate breakcore soundclash CD featuring three of the wickedest breakcore / drum and noise producers around." Drei Metropolen-Neurotiker (Berlin, London, NYC) geben sich ihr Stelldichein, und für uns gibts fleissig auf die Ohren. DJ Scud kommt mit Ragga- und Jungle-Roots endlich im neuen Millenium an und definiert in Punkto Geschwidigkeit und Hektik das Genre neu - dagegen wirken Acts wie Datach'i fast harmlos. Bombardier setzt auf Härte statt auf Geschwindigkeit, Keywords sind passenderweise Schizophrenia, Exorcism, Kamphetamine, etc. Er versteht aber genug von Breaks und Sounds, um die kurzen Schnippsel, die selten länger als 2 Minuten sind, nicht zum stumpfen Gabber-Imitat verkommen zu lassen. N1tro setzt dem ganzen dann die Krone auf, indem er in jugendlichem Leichtsinn (der Gute ist erst 19) Geschwindigkeit und Härte kombiniert und gemeinsam mit Hip Hop-, Klassik- und sonstwas für Versatzstücken ohne Rücksicht auf Verluste durch den Turntable-Fleischwolf dreht. Music for epileptische Anfälle - are you ready for this?

1 DNA LE DRAW D-KEE 2 „DNA LE DRAW D-KEE" 3 (Soleilmoon/Triton)

Bereits 1996 widmete sich Legendary Pink Dots-Mastermind Edward Ka-Spel auf Anregung des Korm Plastic-Labelbosses Frans de Waard dem analogen Sozialambient: Gemeinsam mit seiner damaligen Frau Elke, dem gemeinsamen Kind Calyxx (am Babyphone!) und Bandkumpel Ryan Moore schloß er sich drei Tage zu Aufnahmesessions ein, die er hinterher noch mal zusammenmixte. Das Ergebnis ist schwer psychoaktiv (ch tipp auf Mushrooms) und meilenweit von wabernden Dronesounds entfernt, die sonst so unter dem Namen Ambient rumgeistern. Viel Arbeit mit Sounds und Hörgewohnheiten, und immer kurz davor, ganz abzudrehen - ein verdienter Re-release!

1 DOC WÖR MIRRAN 2 Machines Don`t Bleed 3 (Marginal Talent, EBUs Music, Moloko, Yucca Tree)

Die 61. Veröffentlichung des Nürbberger AvantgArt-Kollektivs um Herrn Raimond, zu dem ständig Peter Schuster von Industrial-/Ambientprojekt TESENDALO und manchmal Jello Biafra sowie Frans de Waard vom Amsterdamer Kultlabel Staalplaat und den ebenso ambienten BEEQUEEN zählen, erscheint aus Kostengründen auf vier Labels gleichzeitig und ist - wie viele der letzten DWM-Sachen - eigentlich Teil eines größeren Projekts, das auch noch eine Serie von Malereien und eine Ausstellung umfaßt - alles als eine Hommage an Maschinen. Konsequenterweise finden wir hier kaum die Garagenrockelemente, die sonst zumindest einen Teil von DWMs musikalischem Output ausmachten, sondern elektronische, z. T. fast schon minimalistische Dekompositionen, zumeist instrumental, auf dem Computer erstellt und hinterher analog bearbeitet. Entsprechend wurde mit den Bildern verfahren, sie wurden eingescannt und dann am Computer bearbeitet - gibts dann in der limited edition auf CD-Rom zusammen mit einem Originalbild. „I want to be a machine..."

1 DUNKELHEIT 2 Obey 3 (Suggestion)

„Obey" ist ein interaktives Etwas, daß dich pausenlos zwischen den tiefsten Wummerbässen aus GODFLESHs „Streetcleaner"-Zeit und den heftigsten Pegelausschlägen von MINISTRY-Songs hin- und herkatapultiert, mit Zwischenstopps bei gesampleten Ministücken, die aber auch keine Erholung bieten. Die norwegische Crew nennt das Industrial-Space-Core, und sie selbst sind die „Masters of the Universe", doch Namen sind in ihrem Universum eh wie Schall und Rauch (bei Songtiteln wie „Anarchaoz" und „Munchscape"!). Trotz aller Härte und „Dunkelheit" haben sie nämlich jede Menge Humor, zelebrieren psychedelisch das Chaoz und verwirren mit einem Kult-Antikultcover, das einfach überhaupt nicht zu den genretypischen Klischees paßt. Power, die fetzt und Spaß macht! Suggestion Records, PO 1403, 58285 Gevelsberg

1 DUNKELZIFFER 2 „III" 3 ( 45 / indigo )

Experimentalrock zwischen Jazz und Avantgarde mit dem legendären Damo Suzuki (CAN !) am Mikro, diesmal die digitale Ausgabe einer vermutlich vergriffenen LP von 86 mit zwei Bonustracks, und zwar in beeindruckender Vielfalt: wunderschöne, fast schon poppige Herzschmerzmelodien mit japanischem Gesang („Akino Aruhini")oder als englische Variante „No matter", Endlosimprovisationen und v.a. geniale Percussions („Trailer II", „Take off your heavy load"), die eigentlichen dafür hätten sorgen sollen, daß diese viel zu wenig beachtete Band aus dem zugegebenrmaßen sehr großen Schatten von CAN hätte heraustreten können. Den unvermeidlichen Vergleich mit den großen Brüdern brauchten sie auf jeden Fall nicht zu scheuen.

1 Werner Durand 2 „The Art of Buzzing (Excuse the Delay Vol. 1)" 3 (X-Tract / A-Musik)

Das Podewil hat sich um die Hauptstadt-Off-Kultur äusserst verdient gemacht - vor allem mit der Weigerung, die Unterteilung in U- und E-Musik mitzumachen. Stattdessen wird live alles präsentiert, was gut ist, seit Neuestem auch resident artists und besondere Gäste auf digitalen Speichermedien. Nach einem Sampler mit Brandon LaBelle und Terre Thaemlitz sowie zwei weiteren Veröffentlichungen darf sich nun auch Werner Duband diesem illustren Kreis zugehörig fühlen, seines Zeichen der Meister des Buzzings. Verwendete er früher präparierte Flötem, Gitarren und Percussioninstrumente, so sind es hier so naheliegende Dinge wie PVC-Rohre mit Saxophonmundstücken, Blumentöpfe mit Alufolie sowie das iranische Instrument Ney, die das Brummen und Summen warmer Drones hervorufen. Das klingt sehr angenehm und fast so, als wäre bei einigen frühen Maeror Tri-Stücken die Gitarre mit dem Didgeridoo vertauscht worden. Im Übrigen: Das mit dem Delay ist kein Problem, Werner.
 
 

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1 ELEKTRO NOVA 2 „Trans. Inter. Ference EP" 3 (Smalltown Supersound)

Langsam dahinkriechender Dark Ambient aus Oslo, der die Momentaufnahme eines jener dramatischen Momente einer Soundtracksequenz sein könnte, wären da nicht diese knarzenden Sounds im Hintergrund. Drei lange Tracks, schlicht T001, T02 und T03 tituliert, die auf die Dauer recht statisch wirken und nicht so richtig zum Chillen einladen wollen und vielleicht eher für Installationen geeignet sind. Kommt in schöner 10" mit sehr einfachem, aber edlem Cover.

1 The End 2 „Reversed Psyche" 3 (Speeding Across My Hemisphere)

Weitere obskure Kleinode vom Suggestion-Sublabel. Der Titel von The End spricht für sich, Sampleoverflow-Attacken mit garantierter Wirkung aufs Unterbewußtsein, „modified, altered and removed" von Sic Mundi und Saus Fater aus Norwegen. Ich frag mich, ob sich der Effekt überhaupt noch steigern ließe, wenn die Platte rückwärtsläuft (oder ist das am Ende gar schon backwards...? - Ihr wißt schon, norwegische Satanisten und so.)

1 Ether 2 „Music for Air Raids" 3 (Extreme/Indigo)

Are you Rock? Was hier zur Ehrenrettung jenes Reliktes aus dem vergangenen Jahrhundert dargeboten wird, sprengt in Wahrehit dessen Rahmen und läßt sich auch mit Vorsilben wie „Post" oder „Noise" nur unzureichend erklären. Zu oft werden Rockelemente einfach zur Soundmalerei verwendet, und dann landen die zwei Gitarren, der Baß und die zwei Schlagzeuger plötzlich in den hehren Gefilden der Neuen Musik. Trotz des martialischen Titels kommt der Spaß nicht zu kurz, da hätte es den Ghost-Track-fünf-Minuten-Stille-dann-Krach-Kalauer zum Schluß gar nicht gebraucht.

1 John Everall/Mick Harris/Nigel Ayers 2 „Mesmeric Enabling Device Parts 1-7" 3 (Soleilmoon/Triton)

Das Presseinfo ist so kultig, daß ich es Euch nicht vorenthalten möchte und einfach übersetze: „Nigel Ayers ist der einzige zeitgenössische Komponist, der wirklich Genie besitzt. Vor vielen Jahren hat er das Konzept individueller Autorenschaft aufggegeben und arbeitet seitdem mit körperlosen Wesen aus der Geisterwelt zusammen. Seit kurzem arbeitet er mit lebenden Personen, die er niemals getroffen hat; für diese CD mit Mick Harris (Scorn, Napalm Death, Extreme Noise Terror, John Zorn, Bill Laswell, Terrorvision) and John Everall (Tactile, Coil, Current 93, Crass, CCCC, Conflict, Crash Test Dummies, Can). Die Aufnahmesessions waren so intensiv, daß Mick Harris sein ganz Studio zertrümmerte und schwor, nie wieder eine Platte zu machen. John Everall hat jeglichen Kontakt mit der Außenwelt abgebrochen und wurde zuletzt beim Schafehüten in Wales gesehen. Zuvor hatte er nur mit Bands zusammengearbeitet, deren Name mit „C" beginnen. Nigel Ayers hat die Sessions geistig und körperlich unversehrt überlebt. Er hat angeblich derzeit 4000 Mal so starke spirituelle Kräfte wie Uri Geller." Da gibts wohl nichts mehr hinzuzufügen...

1 Exhaust 2 „Exhaust" 3 (Constellation/Southern)

Das Debüt dieses Projekts um Godspeed You Black Emperor!-Drummer Aidan Girt fängt vielversprechend an: Coole und komplexe Beats, tiefe Bässe und Spoken Word-Samples, die an ruhige Neurosis-Momente oder eben an Godspeed erinnern. Nur allzu schnell wirken die Tracks aber motivationslos, haben höchstens Sessioncharakter („Metro Mile End", „We Support Iran In Their Bid To Win The 1998 World Cup") und sind nur dann und wann richtig powervoll („Wool Fever"). So richtig gut wirds erst wieder gegen Ende mit dem „Medley Of Late Night Buffet Commercials" - Aphex Twin läßt grüßen. Davor aber noch halbminütiger Knüppelcore, danach Klarinettensolo, das ist insgesamt noch zu skizzenmartig und unausgereift.
 
 

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1 FETISH 69 2 „Dysfunctions and Drones" 3 (Trost)

Ein radikales Remixalbum, das mit den Industrial Metal-Roots der Originaltracks wenig gemein hat. Opener Mick Harris legt in allerbester Scorn-Manier Tempo und Stimmung vor, und die werden erst mal nicht überschritten: Dark Dub rules. Erst in der zweiten Hälfte der ersten, „Dysfunctions" genannten CD wird das Tempo bei einem obskuren Track von Ex-OLD-Earacher James Plotkin kurzfristig angezogen; danach gibts sogar Breakbeats von Suk&Koch und Schlund (Ex-Schlauch). Warum die zweite CD dann „Drones" heißt, ist nicht ganz klar, auch wenn es hier bedeutend ruhiger zugeht. Die teilweise ungewöhnlichen Samples (Fritz Ostermayer, Bernhard Lang) erinnern an den Deleuze-Tribute-Sampler auf Mille Plateaux, während sich Tribes of Neurot überraschend melodisch geben. Bei Winfried Ritsch hingegen klingt es fast nach den Nine Inch Nails-Remixen von Coil. Als Abschlussgimmicks gibt es dann noch zwei Videoclips als .mpg bzw. .mov-file, wovon letzterer bei mir nicht läuft - es hätte wahrlich nicht geschadet, die entsprechende Software mitzuliefern!

1 Alain de Filippis 2 „Petites Musiques de Bruits" 3 (Ground Fault)

Alain de Filippis lotet auf seiner CD die Schnittmenge zwischen neuer Musik, Elektroakustik und Filmmusik aust. Der Schwerpunkt wird dabei im Laufe der Zeit auf orchstrale Dramatik verschoben - mit pompösen Streichersätzen, die direkt ans Herz gehen. Kein Wunder, dass dieses „program of musical attractions" u. a. Erik S., Pierre H. und Frank Z. gewidmet ist…

1 Fleshquartet 2 „Love Go" 3 (artelier / indigo)

Vier Streicher und ein Schlagzeug, das könnte so schön sein, eiert aber leider zwischen Italo-Western und gelegentlichen Spacerock-Anleihen hin und her und durchbricht dabei nicht selten die Schwelle zum absoluten Kitsch. Würde als Soundtrack für B-Movies ausreichen, falls grad nichts anderes da ist, oder auf Trash-Parties mal für kurzfristige Abwechslung sorgen, kann aber darüber hinaus kaum Aufmerksamkeit erregen - schade.

1 Flying Saucer Attack / Main / White Winged Moth 2 „Mort Aux Vaches" 3 (Staalplaat / Triton)

Triple guitars auf einer Mort Aux Vaches, von klassischem Ambient mit Akustikgitarre (4 über die CD verteilte Kleinode von FSA) zu den six strings als Klangerzeuger, die als solche nicht mehr zu erkennen sind. Mains 15-Minuten-Oeuvre „Counterglow" geht dabei mehr in Richtung Neue Musik: abstrakt, zerfasert; WWM hingegen zelebrieren dronigen Gitarrenambient, wie ihn beispielsweise Maeror Tri bzw. Troum jahrelang bis zur Perfektion brachten. Die CD-Verpackung ist ein geniales „Raum-Schiffe versenken"-Spiel, wobei die Main-Flieger 4 Punkte bringen, WWM 6, FSA aber nur 3 (dafür gibts halt auch derer vier). Wenn Staalplaat nicht bald einen Preis für die originellsten CD-Hüllen bekommt, weiß ich auch nicht…

1 FON 2 "Fakt" & "Proof" 3 (Werkzeug/MDOS)

Was Microwave genau ist, weiß eigentlich niemenad so richtig, außer vielleicht Frans de Waard aus dem Vital Weekly/Staalplaat-Umfeld, der meines Wissens den Begriff erfunden und mit seiner Band Goem auch gleich geprägt hat. Anyway, von Holland bis Japan gibts Nachahmer, die extrem tiefes Bassbrummeln gerne mit Knirpsern und Bleeps und viel Stereoeffekten kombinieren und daraus möglichst irritierende Rhythmen zusammenschrauben - so auch Fon auf "Fakt". Diese setzen dem Abstrahierungsgrad der Musik dann noch einen drauf, indem es gar keine Songtitel mehr gibt - keine Chance für Assoziationen oder gar Identifikationen, nur der Sound und die unmittelbare Wirkung zählen. "Proof" ist da schon userfreundlicher: Es gibt Titel wie "Sinusmeet" und "Synapse Font", einen Beipackzettel mit FAQs und einen unglaublichen Pressetext; Auszug: "FONPROOFarkitekturl.ridim.pakagz.zinuzwaifsurfaizz.kompakte.ztuktur.komplekx.audio.bilding. underwear.toolz.overloadmikxink.zituazionz.kutup.fukovlike…" Musikalisch ist die zweite Veröffentlichung allerdings noch minimaler - Beats fehlen völlig, die Electronics simulieren wahlweise Herzfrequenzen, Echolote oder Funksprüche außerirdischer Intelligenzbestien. Kommunikation findet da nicht statt, Isolationism rules.

1 Le Forbici di Manitù 2 „appy polly loggy" & „play & remix Lieutnant Murnau (1980-1984)" 3 (Moloko Plus bzw. Soleilmoon/Triton)

„appy polly loggy" ist eher eine EP und vereinigt auf 5 Stücken plus Coda ein ziemlich breites Spektrum zeitgenössischer elektronischer Musik: Von D&B mit Kraftwerk-Sounds zu verschiedenen Techno-/Trance-Spielarten ist alles dabei. Die Scheren Manitus sind immer einen Tick zu anders, um wirklich konventionell zu klingen, und klingen ausgesprochen frisch, allerdings gar nicht so obskur, wie der Name vermuten läßt. Das ändert sich aber bei der „... Lt. Murnau"-CD: Cut-Ups, Samples (und zwar volles Rohr) und klangliche Kuriositäten zwischen Plunderphonics at its best, den Residents und Column One's „The excellent listener" (vgl. Intro ), die irgendwie auf eine ehemalige Band eines jetzigen FdM- Mitglieds zurückgehen, die hauptsächlich Tapes veröffentlichte und seit 15 Jahren nicht mehr existiert, aber in Italien Kultstatus erlangte. Lob an Nigel Ayers, auf dessen Initiative diese Perle zwischen Retrospektive und Neuinterpretation entstand, die Hörspiele, Pop, Trash und einfach nur bizarreste Sounds auf einfach unglaubliche Weise verbindet. 50 Millionen Lt. Murnau-Fans können sich eben einfach nicht irren.

1 FOREIGN TERRAIN 2 „LP1" 3 (Soleilmoon / Triton)

Auch wenn das Album von Muslimgauze inspiriert sein soll: Die Fülle an Samples und die immer wieder eingestreuten, größtenteils clubtauglichen Beats sorgen dafür, dass „LP1" über weite Strecken als Future Sound Of London-Veröffentlichung durchgehen würde. Neues Terrain ist das in der Tat nicht, aber zumindest ein 66minütiger Headtrip zwischen Ambient Dub, Chill Out und Asian Underground. Dass dabei ein paar Loops zu oft durchlaufen und an einigen Stellen Stagnation droht, fällt nicht wirklich ins Gewicht; „LP1" bleibt ein schönes Beispiel dafür, was mensch heutzutage mit einem PC und einer genügend großen Festplatte anstellen kann.

1 FRAGMENT 2 „Tronc" 3 (SNUFF / We Bite)

Volles Brett aus Genf, und zwar straight auf den Punkt gebrachte kontrollierte Aggression. FRAGMENT mit französischen Text und dem Feeling von SEPULTURAs „Roots" ohne die Tribalelemente, nur leider etwas cleaner produziert, auch wenn mit David Weber (YOUNG GODS, TREPONEM PAL) ein erfahrener Mensch in Sachen Mixing hinter den Knöpfen saß. Dafür ist „Tronc" rekordverdächtig beim Versuch, möglichst viel Power in 5 Songs und 15:50 Minuten unterzubringen.

1 Frames A Second 2 „Disoriented Express" 3 (Spectre)

Frames A Second zelebrieren hier den Information Overload in Form von hektischen Rhythmen, unübersichtlichen Songstrukturen und immer wieder überraschenden Maschinen- und Stimmsamples, die genau die im Titel angedeutete Orientierungslosigkeit inszenieren. Mehr als das blosse Statement „Too much information" bleibt allerdings nach dem Genuss der gesamten CD nicht übrig - und das wussten wir irgendwie vorher auch schon. Somit ist „Disoriented Express" höchstens in Momenten zu empfehlen, in denen man sich dringend mal wieder Stress und Grossstadthektik aussetzen will.
 
 

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1 GENERAL MAGIC 2 „Rechenkönig" 3 (Mego / A-Musik)

Sound- und Stimmfragmente werden durch die Lautsprecher gejagt, High Frequency-Attacken wechseln sich mit mehreren längeren Momenten der Stille ab - hier wird gebrochen, was das Zeug hält. Auf Kopfhörer der garantierte Headcleaner. Referenzpunkte in diesem dekonstruktivistischen Universum, das eigentlich ohne Referenzpunkte auskommen will, sind Column One's „The Excellent Listener", COH, Prototypes oder ähnliche Mille Plateaux-Sublabel-Acts.

1 GENERATION X-ED 2 Protest & Survive 3 (Trinity)

Unglaublich geniale Hammerproduktion voller potentieller Hits, die allen derzeit angesagten Big Beat- und Drum`n`Bass-Acts zu denken geben sollte. Könnte mit der gleichen Attitude, aber erheblich größerer Vielseitigkeit selbst ATARI TEENAGE RIOT den Rang ablaufen: distorted D&B meets Intelligent Sampling von Consolidated („Industrial Is Dead"), Gänsehaut-RAF-Dokumente bei „Stammheim" und im direkten Anschluß DRUM`N`BASS FOR PAPA - mäßige Vocals („Teach Ya Hate by Goya"), zusätzlich gelegentlich PRODIGY-Gitarren und die besten Riddims seit langem, die auch beim zehnten Hören in Folge nicht langweilig werden. Zusammen mit der „Erdfarben auf nackter Haut"-Ästhetik, die schon bei VIRGIN PRUNES-Covers und CHRISTIAN DEATH-Videos gut kam, ein garantierter Bestseller fürs neue Jahr !

1 GOEM 2 „Mort Aux Vaches" 3 (Staalplaat / Triton)

Der Liveset, den GOEM fürs holändische VPRO-Radio und somit für die „Mort Aux Vaches"-Serie eingespielt hat, unterscheidet sich vor allem im Tempo von Studiomaterial wie „Reduktie". Es scheint, als sei weniger die fast wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Brummen und Fiepen im Vordergrund, die allen Microwavern so eigen ist, als vielmehr die direkte physische Wirkung: das Wummern im Bauch, das Klicken auf der Haut und die Loops im Kopf, die sich wiederholen, bis sich alles dreht. Im weitesten Sinne ist das moderner Trance, auf jeden Fall aber Musik, die bis aufs Äußerste reduziert wurde.

1 goem 2 „reduktie" 3 (oblique soundscapes)

Der Name ist Programm: Nur der Schriftzug ziert das ansonsten weiße Cover und die CD, die Stücke heißen „dreizehn" bis „zwanzig" auf holländisch. Frans de Waard (Kapotte Muziek / Beequeen) und seine Mitstreiter muten uns ein paar Sekunden Krach zu, dann erst Mal Stille, schließlich werden die Grenzen unserer Lautsprecher nach oben und unten hin ausgelotet, die unserer Geduld allerdings auch. Schließlich ist dies kein Vinylrelease, die für Goems „tanzbareren" Stücke reserviert sind (was immer das heißen mag); digital bedeutet zu Hause bleiben, Kopfhörer auf - da kann es schon mal ein paar Minuten dauern, bis sich ein Rhythmus aus einer Masse undifferenzierter Klänge herausschält. Dann hat dieses repetetive Knirpseln, gemischt mit subfreqentierten Bässen, allerdings höchst hypnotische Wirkung.

1 GRAVITY KILLS 2 „Guilty" 3 (TVT Records)

Neun Remixe des Krachers „Guilty" aus dem Soundtrack zu „Seven" auf dem NINE INCH NAILS - Label, zu sätzlich zweimal der Song „Goodbye". Angesichts der versammelten Produzentenprominenz (YOUNG GODS, KILLING JOKE, SEPULTURA und natürlich NIN) leider ein wenig enttäuschend, wurden doch die Möglichkeiten zu gänzlich unterschiedlichen Remixen nicht voll ausgeschöpft, die Ohrwurmqualitäten aber geschickt unterstützt. Insgesamt eine interessante Zusammenstellung und fairerweise eine Stunde Sound zum Preis einer Maxi. BILE: „Tekno Whore" (Concrete) Warnung: extremely sick! Maschinenhafte Rhythemn fetzen Dir um die Ohren, untermalt von fiesen Samples und Krachorgien herkömmlicher Instrumente, während all der HASS auf die Menschheit ausgekotzt wird. Nicht unbedingt superneu, aber in dieser Form selten zu hören - macht selbst ausgeglichene Mitmenschen in kürzester Zeit garantiert aggressiv!

1 Randy Greif 2 „Alice in Wonderland" 3 (Soleilmoon/Triton)

Reissue des Jahres: die lange vergriffene, ursprünglich zwischen 91 und 93 bei Staalplaaat erschienene 6-Stunden- Lewis Carrol-Adaption, jetzt als 5-CD-Box. Angesiedelt zwischen Hörspiel und Ambient-Symphonie, steht streckenweise die ursprüngliche Erzählung des Märchenonkels im besten Oxford-English im Vordergrund, lediglich untermalt von soundtrackartiger Musik; dann wieder werden (wie später unter dem Pseudonym Shadowbug 4 perfektioniert) die Stimmen so sehr bearbeitet und manipuliert, daß der Inhalt kaum noch rüberkommt. Das macht aber gar nichts, sollte doch die Story vom White Rabbit, der Queer Tea Party und der Grinsekatze hinlänglich bekannt sein. Außerdem soll der Spannungsbogen dem einer psychdelic experience nachempfunden sein (LSD in Wonderland?) - hab ich allerdigs nicht überprüft. Zusätzlich gibts noch Sammelkarten mit Illustrationen zu jedem der 60 Tracks; 5 davon sozusagen als Bonus zur Box, die anderen in Zehnerpacks über Soleilmoon - collector's nightmare.

1 Randy Greif / Robin Storey / Nigel Ayers 2 „Oedipus Brain Foil" 3 (Soleilmoon / Target)

Monumentale 3 CD-Konzeptkollaboration dreier älterer Herren der Postindustrialszene, die in der letzten Zeit sonst eher zu den Einzelgängern gehörten. Die jeweiligen Bandvorgeschichten machen aber klar, wohin der Sound geht: Storey war bei Rapoon und davor bei Zoviet France aktiv, Nigel Ayers ist Nocturnal Emissions und Greif ist zwar solo bekannter, hat aber auch bei Static Effect mitgewirkt. So wie der Gesamttitel der Box nur eine begrenzte Anzahl sinnvoller Möglichkeiten in den Anagrammen der Titel der einzelnen CDs („Nail Of Pious Bride", „Perfidious Albion" und „Build A Poison Fire") erlaubt, so sind auch die auftauchenden Sounds limitiert - im Prinzip klingt es, als würden CDs der einzelnen Künstler einfach zusammengemixt, was sicherlich ganz nett ist, aber keine großartige Überraschung darstellt. Dennoch sehr schöne, atmosphärische Tracks in einer sehr schön aufgemachten Box, die später dann nur noch etwas teurer als die einzelnen CDs verkauft werden - da lohnt es, jetzt noch zuzugreifen und das gesamte Werk komplett zu genießen.

1 TRILOK GURTU 2 „The Beat of Love" 3 (Universal Jazz)

Authentizität rules bei Trilok Gurtu, Sohn einer der beliebtesten Sängerinnen Indiens und unter anderem Ex-Embryo-Mitglied. Auf dem neuesten Streich, dessen Titel leider allzu stark nach Level 42 klingt, versucht er die Symbiose von indischer und afrikanischer Musik mit Jazz und modernen Beats, ohne dabei allerdings die Coolness eines Nils Petter Molvaer zu besitzen. Letztendlich ist der Beat der Liebe zu glatt produziert und klingt zu sehr nach Weltmusik mit einem Touch von Peter Gabriel und Kate Bush („Have We Lost Our Dreams?") , auch wenn sich Gurtu zu Recht gegen diesen Begriff wehrt: „Entweder ist jede Art Musik ‚Weltmusik' oder keine. Zumindest solange (…), bis Musiker vom Mars die Szene betreten." Bis es soweit ist, haben Musiker wie Gurtu aber sicher noch ausreichend die Möglichkeit, uns den Sound (und die Beats) der großen weiten Welt nahezubringen.
 
 

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1 Mick Harris/Nigel Ayers/John Everal 2 „Mesmeric Enabling Device Parts 1-7" 3 (Soleilmoon/Triton)

Das Presseinfo ist so kultig, daß ich es Euch nicht vorenthalten möchte und einfach übersetze: „Nigel Ayers ist der einzige zeitgenössische Komponist, der wirklich Genie besitzt. Vor vielen Jahren hat er das Konzept individueller Autorenschaft aufggegeben und arbeitet seitdem mit körperlosen Wesen aus der Geisterwelt zusammen. Seit kurzem arbeitet er mit lebenden Personen, die er niemals getroffen hat; für diese CD mit Mick Harris (Scorn, Napalm Death, Extreme Noise Terror, John Zorn, Bill Laswell, Terrorvision) and John Everall (Tactile, Coil, Current 93, Crass, CCCC, Conflict, Crash Test Dummies, Can). Die Aufnahmesessions waren so intensiv, daß Mick Harris sein ganz Studio zertrümmerte und schwor, nie wieder eine Platte zu machen. John Everall hat jeglichen Kontakt mit der Außenwelt abgebrochen und wurde zuletzt beim Schafehüten in Wales gesehen. Zuvor hatte er nur mit Bands zusammengearbeitet, deren Name mit „C" beginnen. Nigel Ayers hat die Sessions geistig und körperlich unversehrt überlebt. Er hat angeblich derzeit 4000 Mal so starke spirituelle Kräfte wie Uri Geller." Da gibts wohl nichts mehr hinzuzufügen...

1 HAUJOBB 2 „Solutions for a Small Planet" 3 ( Offbeat / SPV )

Könnte auch „Redefine Music" heißen, denn was HAUJOBB an Sounds verarbeiten, sprengt mal wieder alle Genregrenzen. Sie vermengen so ziemlich alles, was es an Spielarten zeitgenössischer elektronischer Musik so gibt, sei es nun Jungle, Tekkno oder Ambient, schrecken aber auch nicht davor zurück, mal Jazzsprengsel einzustreuen. Das ganze kommt noch geschlossener und überzeugender rüber als das letztjährige, damals schon richtungsweisende „Freeze Frame Reality", wenn auch so ein Kracher wie dazumal „Sensor" jetzt fehlt. Einziger Minuspunkt ist der Gesang, erinnert er doch allzu oft an HUMAN LEAGUE und paßt so gar nicht zum Rest des Konzepts - vielleicht sollten HAUJOBB mehr Instrumentalstücke machen.

1 TOBIAS HAZAN 2 „Vowel Architecture" 3 (Sub Rosa)

Tobias Hazan war bereits auf dem Mille Plateaux-Sampler zu Ehren von Gilles Deleuze vertreten, hatte sich da aber so gut in die Stimmung der Scheibe intergriert, dass er gar nicht besonders aufgefallen ist. Ähnlich ist es hier: Anders als der Titel vermuten lässt, gibt es nur wenige stark experimentelle Tracks, die mit elektronisch verfremdeten Stimmen arbeiten; diese stehen hauptsächlich zu Anfang des Albums. Nach einigen eher durchschnittlich ambienten Tracks kommt dann noch die zwingend notwendige, dreiteilige Hommage an den großen Philosophen: „Double Blind Perspective" mit David Shea, „Qeria (Pour Gilles Deleuze") vom eingangs erwähnten Sampler sowie (absoluter Höhepunkt!) „Mémoires d'un surfeur au bord du désert" mit Samples vom großen Meister - möge er in Frieden ruhen!

1 Heal 2 „Extension" 3 (Moloko +/Target)

Ein Kessel Buntes: Ob nun der Opener „Snow on the Air" klingt, als ob Underworld den Dub entdeckt hat, „Tools for it" mit Björk als Ansagerin wie ein Coil-Remix, „If" wie Jungle in Zeitlupe oder „Extend" und „Discomfort" nach der Spätphase von Meat Beat Manifesto: Die Musik steht stets im Vordergrund; Lyrics gibts es nur dann, wenn es unbedingt Not tut. Hier hat jemand ausgesprochen Spaß an Soundtüfteleien!

1 HITHLAHABUTH 2 „(drone)" 3 (Drone Rec.)

Wieder einmal einebesonders schöne Ep (wie immer limitiert und in handmade Cover): HITHLAHABUTH (hebräisch:Brennen) mit zwei abgedreht flirrenden Ambientdrones mit einem Touch ins Rituelle, die zeigen, das Didgeridoos nicht immer Hype sind und auch kreativ eingesetzt werden können; Momentaufnahmen einer Ekstase.

1 HOLON 2 „Japanorexia" 3 (Alice In Wonder / Target)

Die Herren Lybaert und Tomita, ihres Zeichens belgische respektive japanische Kollaborateure im Dienste elektronischer Unterhaltungsmusik, bevorzugen für ihre Mission zunächst einmal Spoken Word-Samples und ungebrochene Beats. Das kickt zwar nicht immer Ass, zeigt auf die Dauer aber durchaus hypnotische Wirkung, bis dir beim neunten Track der Kopf schwirrt. Dabei gehen Holon mit dem bisschen mehr an Drive und Lockerheit an die Sache heran, die ich mir von Scorn immer gewünscht habe.

1 HOLO SYNDROME: 2 „HOLO SYNDROME" 3 (Noteworks)

Netter Trance mit Livedrumming, von Harld Grosskopf, der bisher für so unterschiedliche Musiker wie KLAUS SCHULZE, JOACHIM WITT und das geniale Industrialprojekt FETISCH PARK arbeitete. Leider kommen die Livedrums außer bei „Ocean`s Revenge" meist gar nicht so doll raus, dafür fällt dieser Track auch wegen des experimentellem Loops am Ende positiv auf. Ebenfalls schön: der Tribal „Blue", der Rest ist für jede Goa-Party kompatibel, gehört da dann aber garantiert zu den besseren Sachen, die gespielt werden.
 
 

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1 I.A.M. UMBRELLA 2 „The Sound of Shadows Breathing on Themselves" 3 ( Drag and Drop / Rough Trade )

Dies ist eine jener wunderschönen Platten, die Dank der fehlenden Neugier vieler KonsumentInnen und relativ kleiner Vertriebswege der Beteiligten völlig zu Unrecht wenig Beachtung finden wird. Dabei hätten sie es verdient, erschaffen I.A.M. UMBRELLA auf ihrem zweiten Album doch mystisch anmutende Klanglandschaften in den Grenzbereichen zwischen Ambient - und Ritualmusik. Besonders die weibliche Stimme und die zeitweilig eingesetzte Flöte tragen mit dazu bei, viel Raum für Assoziationen aufkommen zu lassen: eine surreale Weite. Soundtracks für Traumreisen - ob in den Zauberwald „Sig Nature", in den Fernen Osten („Lacuna Kut Cinema") oder unter Wasser („The Claque"); vergleichbar höchstens mit den göttInnenlichen VOICE OF EYE oder (gerade wegen der Stimme) TEMPLEGARDEN`S. Ideal für kalte Winterabende !

1 Kozo Inada 2 „a[ ]" 3 (Staalplaat / Target)

Kozo Inada entwickelt Microwave-Sounds zu einer physischen Sache weiter: Seine Recordings werden zeitweilig eher gefühlt als gehört, und mein (zugegebenermaßen nicht sehr toller) Verstärker verabschiedet sich dann und wann ob der Untiefen. Die schrillen Fiepser scheinen ihm hingegen nichts auszumachen, und Mitten gibts bei Microwaves ja sowieso recht wenig. Darüberhinaus erfindet das Staalplaat-Label auch mal wieder CD-Verpackungen neu: als Inlay ein durchsichtiges Plastikdings mit 3D-Effekt, die CD selbst mit transparentem roten Ring außen, darinnen eine Quasi-Mini-CD.

1 INADE 2 The Axxiarm Plains 3 (Drone / Allegoria)

Zwar hat dieses Release einen bemerkenswerten Hintergrund, nämlich die Darstellung der Ideen des russischen Dichters und Malers MAJAKOWSKI, die Grenzen der modernen Gesellschaft zu durchbrechen und eine neue Gesellschaft aufzubauenm, musikalisch gelingt die Umsetzung jedoch kaum. Können „Breaking the walls" und „Above the plains" in all ihrer Ruhe noch eine gewisse Motivation und Dynamik vermitteln, so wirkt „Movement and Construction", das anvisierte Ziel, merkwürdig starr und leblos, zu monumental und in der eigenen Technik (Sampler) verfangen, ganz im Gegensatz zum abgedruckten Zitat MAJAKOWSKIs („Bewegung ! Wir brauchen kein Mausoleum für die tote Kunst, in dem man tote Werke besichtigen kann, sondern lebendige Fabriken menschlichen Geistes."), das sich hingegen hervorragend in das hangemacht Artwork einpaßt.

1 2 „Indonesian Soundscapes" 3 (Soleilmoon / Target)

Über sieben Jahre lang haben Loren Nerell und Dale Strumpell Aufnahmen auf Bali und Java gesammelt, zunächst im Zusammenhang mit Nerells Forschungen als Ethnomusikologe, später gezielter auf der Suche nach Alltagsgeräuschen. Dementsprechend enthält nur ein Teil der 15 ausgewählten Fieldrecordings Musik im engeren Sinn; Ausnahmen sind Mitschnitte religiöser Zeremonien und der Verkaufsraum eines Herstellers von Gamelan-Instrumenten. Ansonsten gibt es erwartungsgemäß Natursounds en masse (Wind, Frösche, Insekten und v. a. fast 10 Minuten „Morning Rain" auf Bali, dessen besondere Bedeutung sich mir als Noch-nicht-Dagewesener allerdings verschließt) sowie Zivilisationskrach („Bus Depot" und „Surabaya Airport"). Der Unterhaltungswert ist relativ gering, lohnt nur zum wirklich drauf einlassen, dann geht die Reise im Kopf und zwischen den Lautsprechern ab.

1 IN MY ROSARY 2 Farewell to Nothing

Zweite Fulltime-CD der deutschen Dark Folk-Ritter, die ihrem Stil treu bleiben: Melancholisches a´la DIJ zu deren Elektro- und Akustikphasen, wobei mir die minimalistische Lagerfeuerromantik ja mehr zusagt als die ewig gleichklingenden Düstersynthies. Auch visuell scheinen sich IMR stark an ihren Vorbildern zu orientieren,bleiben aber sinnigerweise lediglich bei der schwarzweißen Ästhetik der Anonymität, um auf provokative und dumme Spielereien mit NS-Symbolen zu verzichten. Textlich geht es über die bloße Negation hinaus, so klingt in „An open Book" ein verhaltener Optimismus an, der an die Sinneswandlungen und Verarbeitungsleistungen von SIX COMM./MOTHER DESTRUCTION und deren Schützlingen ANNABELLES GARDEN erinnert. Außerdem hervorzuheben sind die vom Original kaum zu unterscheidende DIJ-Coverversion „Fall Apart" und „Leise zieht...", Vertonung eines Textes von Heinrich Heine.

1 IN THE NURSERY 2 „Praha 1" 3 ( Cat`s Heaven / SPV )

Erstklassiger Livemit- und Querschnitt des Schaffens der sympathischen Sheffielder in hervorragender Soundqualität, aufgenommen auf der „Anatomy Of A Poet"-Tour 1994im Bunkr in Prag. Dementsprechend nehmen die Literaturvertonungen von „Anatomy..." einen Großteil des Sets ein, kommen aber auch live erstaunlich gut rüber, besonders „Golden Journey", das sowohl für die Studio- als auch die Live-CD programmatisch wirkt. Ansonsten erleben wir die Höhepunkte der älteren Alben, z.B. „Scherzo" von der genialen „Köda", das ebenso neoklassische „L`Esprit", „Twins" oder das militaristische „Blue Religion" („for the people from Germany"...). Die wahren RomantikerInnen des Untergrunds verstehen halt auch Spaß.

1 IRON LUNG CORP 2 „Big Shiny Spears" 3 ( Re-Construction / Cargo )

Gelungene Kollaboration von ACUMEN und CLAY PEOPLE, die von Anfang an hypnotisch wirkt: Irgendwie schon normaler Industrial-Metal, aber irgendwie auch anders. Es wird eben nicht nur abgegrunzt - Melodien von Synthie und Stimme wechseln sich ab mit Stop-and-Go-Rhythmen und Gitarrenattacken oder verschmelzen damit („Crobar America"). Wenn PRONG nach ihren genialen Anfängen so enden, ist das traurig - aber IRON LUNG CORP haben so eine Verantwortung nicht und können machen, was sie wollen, ein typisches Metalstück einflechten („The Great Nothing"), um gleich danach wieder total tanzbar zu werden („Chemikaze"), zwei NITZER EBB-Stücke auf einmal covern („Join In The Murderous Chant") und dann den nicht nur wegen seiner Länge an NEUROSIS erinnernden Slo-Mo-HC-Hammer „Witchita"nachlegen ...

1 Iszoloscope 2 „Coagulating Wreckage" 3 (Spectre)

Iszoloscope tönen in jenen Sphären, die auch auf Ant-zen zu Hause sein könnten, und liefern uns Maschinenindustrial der späten 90er, dann und wann aber auch mal Ambientpassagen, die immer wieder durch Rhythemen unterbrochen werden. Nichts wirklich revolutionär Neues, aber gut gemacht.
 
 

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1 LES JUMEAUX 2 „Cobalt" 3 ( Corporation / EFA )

Die Humberstone-Zwillinge, auch bekannt als IN THE NURSERY, versuchen sich mit Trip Hop-Ähnlichem und zaubern zwölf zeitlose Kleinode. Der typische ITN-Perfektionismus wirkt zeitweise extrem cool, aber nie aufgesetzt - hier stimmt einfach jeder Ton. Und immer dann, wenn es ein bißchen zu viel Trechnowelt auf einmal wird, säuselt Dee de Rocha stilecht auf französisch ins Mikro; neben der Flöte auf „Maline" und den unvermeidlichen Anleihen an Neoklassizismen älterer Werke das einzige, was daran erinnert, das diese Musik von Menschen konzipiert wurde. Mit diesem Projekt haben ITN gezeigt, daß sie den Übergang in die Neunziger spielend geschafft haben (bei „Anatomy of a Poet" war das vor drei Jahren noch nicht so klar) und sich fleißig aufs nächste Jahrzehnt vorbereiten.

1 Jazzkammer 2 „Hot Action Sexy Karaoke" 3 (Ground Fault)

Der Titel „Hot Action Sexy Karaoke"sagt mehr über die Musik aus als Dutzende Reviews. 42 Minuten und 29 Sekunden Soundschnippsel, Fragmente, Noise und Melodieversatzstücke, die auf den Laptopfestplatten der Herren Marhaug und Hegre schmorten, bis sie uns um die Ohren gehauen werden, dazu Überfliegernamen wie „Improvised Guitar for Chicken Diet Dish", „Free Willy!" oder „Gameboy" - die Wahlverwandtschaft zu einigen Nurse With Wound-Alben ist unverkennbar. Auch Crawl Units CD wurde von Labelle benutzt, hätte aber besser „Use Headphones When Listening" geheißen - allzu viele Feinheiten gehen durch den Lo-Fi-Anspruch des Povertech Industries-Masterminds ansonsten verloren. Der nahezu vollständige Verzicht auf Lautstärkeschwankungen und Dynamik ist beim genauen Hinhören gar kein Nachteil, sondern betont um so sehr die Charakteristik der benutzten Sounds. Ich bin gespannt, wie Crawl Unit in einem Studio oder mit PC klingen würden - vermutlich würde eine Menge Eigenständigkeit verloren gehen.

1 Jazzkammer 2 „Rolex" 3 (Smalltownsupersound)

Wie notwendig ist ein Remixalbum bei zwei Laptopaktivisten, die sich eigentlich ständig selber remixen? Andererseits: Welches Album ist heutzutage wirklich noch notwendig? Und immerhin sind eine Menge netter Leute dabei: der Drone-Act Reynols, Sonic Youth's Thurston Moore, Rsundin, Tore von Origami Replika, TV Pow, etc. Ob sie nun klingen wie sonst auch (Zbigniew Karkowski) oder sich mal selbst am Jazzkammer-Freestyle probieren (Moore) - langweilig wird's nie, höchstens mal krachig. Aber selbst Merzbow klingt hier versöhnlich, und Francisco Lopez schafft mit einem 15minütigen Ambientdrone den gebührenden Abschluss. Schön also, dass es dieses Remixalbum gibt!

1 PHILIP JECK 2 „Loopholes" 3 (TOUCH)

Was dieser Mann klanglich dahinzaubert, gehört für mich zum Besten und Abgefahrensten, das in der letzten Zeit herausgekommen ist ! Gerade begeisterte er mit seiner Multimediaperformance für 180 Plattenspieler, 12 Dia- und 2 Filmprojektoren live, und nun übertrifft er sich selbst auf CD. JECK arbeitet natürlich wieder mit seinem Lieblingsmedium, mit Schallplatten - bevorzugt irgendwelchen obskuren SammlerInnenstücken von Flohmärkten- und kreiert damit Loops und Scratches. Darüberhinaus benutzt er nur Taperecorder, ein Keyboard und zwei Effekte, von denen eins häufiger mal nicht richtig funktioniert... Doch was dabei herauskommt, ist der Wahnsinn- The Wire nennt es „lo-tech jungle without the breakbeat" (manchmal allerdings auch mit, wie „Louie`s Riddle" beweist; den Song möchte ich allerdings nicht mit Ecstasy zugedrogt hören...), wahrhaft ein repetetiver Dschungel, ein Soundteppich aus Loops, aus dem hier und da mal vertraute Töne auftauchen. Darüberhinaus beweist JECK Zynismus: „Ulster Autumn" ist nur von bedrohlichen Militarydrums geprägt, die die Killerkommandos hinter jeder Ecke vermuten lassen, während zwei Stücke später ein Song namens „Harry and Krishna" nur aus Maschinensounds besteht, die an gigantische Uhrwerke erinnern - memento mori auch als Hippie in Indien, oder wie ? Trotz der recht eingeschräkten Intrumentenwahl wird eine Vielfalt an Sounds geboten - von ambient / postindustriell über nostalgische Klänge zu den Breakbeatorgien - ein Sammelsurium der verschiedenen Stilrichtungen der neueren experimentellen Musik, und bestimmt so interessant wie PHILP JECK`s Plattensammlung. Auch visuell stimmt alles: Das Booklet besteht aus bearbeiteten Fotos von Videoaufnahmen vom TV, also voller Analogie zur Musik. JECK: „...just textures and landscapes. You`re not quite sure what they are and it doesn`t matter." Aha!

1 THOMAS JIRKU 2 „Variants" 3 (alien8)

Eigentlich hatte Jirku seinen subtilen Minimal Techno nur als MP3-Files bei Notype (www.notype.com) vertrieben, seine Debut-CD-R „Immaterial" gab es ganze 20 mal. Nahezu wöchentlich wurden jedoch neue Variationen (früher hätten wir Remixe gesagt) übers Netz zugänglich, und fast genau so schnell waren sie wieder gelöscht. Insgesamt 59 solcher „Variants" sind so entstanden, von denen Jirku seine 12 liebsten nochmals überarbeitete und jetzt alien8 recordings zur Verfügung stellte. Musikgeographisch zwischen Finnland (Vladislav Delay oder chillende Pan Sonic) und Köln einzuordnen, steht bei Jirku die Lounge-Atmosphäre im Vordergrund. Die Sounds drängen sich nie zu sehr auf: Wenn du nicht aufpaßt, ist der Track schon wieder vorbei, und alles, woran du dich erinnerst, ist, dass er irgendwie sehr angenehm war.

1 DON JOYCE 2 „Mort Aux Vaches" 3 (Staalplaat)

Wer hätte von einem NEGATIVLAND-Mitglied (eben Don Joyce) schon etwas erwartet, was alle anderen auch machen? Hier kreiert er eine halbstündige hörspielartige Collage aus ausnahmelos World War 2-Samples, bezieht diese aber auf den sog. Bosnienkrieg, in dem ethnische Säuberung und faschistische Propaganda auf allen Seiten wieder aktuell sind. Durch Gegenüberstellung von Radioshows, Nachrichten, Werbespots und Propagandaschlagern entlarvt Joyce die Betroffenheitsarien, ohne sie selber kommentieren zu müssen, und spiegelt die Rolle von Medien im Informationszeitalter am historischen Beispiel, das vielleicht einiges deutlicher machen kann als aktuelle Meidenschelte.
 
 

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1 KALTE FARBEN 2 „Opium" 3 ( Offbeat / SPV )

Beginnt mit einer abgefahrenen Cybersoundcollge, in die sich langsam abstrakte Rhythmen hineinarbeiten, bis sich eine zerbrechlich wirkende Stimme durchsetzen kann, die die Realität entschwinden sieht („Reality Dust"). Doch mit dem Übergang zu „Overdrive" ist es mit der relativen Ruhe vorbei, Ingo Beitz knallt uns nun die Sounds in waghalsigen Achterbahnfahrten um die Ohren, und zerbrechlich ist die Stimme auch nicht mehr, wenn in NINE INCH NAILS-Manier über Aggression, Drogen („elesde" / „Opium") oder die „Suckers" im allgemeinen und besonderen abphilosophiert wird. Ständig werden dabei die Grenzen von hör- bzw. tanzbaren Sequenzen und brachialer Härte überschritten und so in Frage gestellt. Brennend vor Sehnsucht (gerade bei „Flower Industry") und doch eiskalt.

1 THOMAS KÖNER 2 Kaamos 3 (Mille Plateaux / EFA)

Ultra-deep isolationist stuff auf dem philosophischen Vorzeigelabel; dagegen sind die meisten Ambientplatten fröhliche Jahrmarktsmukke. Streckenweise so minimal wie die Titel (drei der vier Tracks heißen „Kaamos"), aber wahrscheinlich haben meine Boxen einfach nicht genügend Frequenzbereich für diese Reise zu versunkenen U-Booten, auf der von der Welt jenseits der Wasseroberfläche nur noch Echolote und eine HAFLER TRIO- oder WERKBUND-Scheibe, die durch einen Lowpassfilter gejagt wurden, zu hören sind.
 
 

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1 Brandon Labelle 2 „Music on a Short Thin Wire" 3 (Ground Fault)

Brandon Labelle macht sich an so etwas wie den Musique Concréte-Megamix des bisherigen Labelprogramms: Für jeden seiner 4 Tracks spielt er zwei CDs, schön nach Katalognummern sortiert, über separate Lautsprecher ab. An diesen sind mit Kontaktmikrophonen versehene Drähte befestigt - Music on a Short Thin Wire eben. Ein interessantes Konzept, das musikalisch aber nicht hält, was es verspricht - zu wenig von den auch für sich genommen großartigen anderen Veröffentlichungen (unter anderem Eric La Casas tripartige Fieldrecordings auf „The Stones of the Threshold") bleibt noch erhalten. Zu den von Labelle verwandten CDs gehört auch Jazzkammers „Hot Action Sexy Karaoke" und Crawl Units „Stop Listening" (s. o.).

1 Loopspool / Ted Milton 2 „Sublime" 3 (charhizma / A-Musik)

Wiedersehen mit zwei alten Bekannten: Loopspool steckt im Tied And Tickled Trio und ist hier für die maschinellen Sounds zuständig, Milton hat bereits in den Achzigern mit der No Wave-Band Blurt und seinen narzißtischen Gedichten solange rumgenörgelt und genervt, bis er bekannt wurde. Saxophon spielt er immer noch, und auch die Paranoia in der Stimme, die ihn mit großen Propheten wie Edward Ka-spel verbindet, ist erhalten geblieben. Dennoch ist „Sublime" mehr als ein dubbiges Update alter Experimente, denn Milton hat gelernt zuzuhören, kann auch mal einge Zeit ohne seine Stimme oder das Saxophon ertragen - was sie um einiges interessanter macht; „Less is more" wußte schon mein Englischlehrer in regelmäßigen Abständen zum Besten zu geben…

1 Francisco Lopez 2 „Untitled 1993" 3 (Staalplaat)

Neuer Rekordversuch des amtierenden Weltmeister in Minimalismus, der seine letzten Veröffentlichungen mit Vorliebe unbetitelt in schlichter Artwork präsentiert: Hier ein Slim-Jewel-Case, lediglich Name und (Un-)Titel sind eingraviert - kein Papier. Alle weiteren Infos auf der CD selber: Ausschnitte aus fünf Liveperformances mit fremder Hilfe von vor sechs Jahren, der Player zeigt sie allerdings als Track 6 - 10 an, um auf die bisherigen Veröffentlichungen auf Staalplaat anzuspielen. Die mächtigen Bass-Drones, die häufig aus Fieldrecordings entstanden, sind eher mit dem Bauch als mit dem Ohr wahrzunehmen, werden aber nie zu harsh: Physical Listening mit langen Pausen zwischen den Tracks. Kurz vor Schluß wird dann das Volume hochgeregelt, bis die Boxen brummen, dann Stille - eine Stunde im Bann des Spaniers ist vorbei.

1 FRANCISCO LOPEZ 2 "Untitled #92" 3 (Mego)

Lopez' stringente Arbeitsweise hat ihn zu einer Art Kultfigur eines radikalen Minimalismus gemacht. Keine Titel (außer "untitled" plus Jahreszahl), weißes Vinyl und Cover - und bisweilen ist kaum etwas zu hören (z. b. bei der 7" auf Drone Records). Auf dieser LP hingegen hat der Portugiese auf vier Tracks Loops von Vinylgeräuschen bearbeitet: das Knistern der Nadel, das Haken, den Staub - also all das, was sonst so nervt. Der auf dem Label abgedruckte Hinweis "to be multilayered with several copies" kann da wohl nur als Gag am Rande gemeint sein. Wenn schon mehrere Plattenspieler zur Verfügung stehen, empfehle ich einen Groschen auf dem Tonarm und dazu Flohmarktplatten - das kommt billiger.

1 Francisco López/Joe Colley 2 „Knowing When Not To Know" 3" 3 (Antifrost / Staalplaat)

Nach der 5000-Meter-Lauf-Dokumentation von as11 im gleichen Format dürfen hier ever-active López und sein kalifornischer Compagnion Joe Colley beweisen, was sie unter „absolutem Sound" verstehen. Entgegen meiner Befürchtungen ist nur der Anfang und das Ende des über 18minütigen Tracks unhörbar (zumindest auf meiner Anlage) - dazwischen gibt es angemessene Walls of Sound, die sich in Zeitlupe steigern, nur um ganz langsam wieder in Stille zu verschwinden, und die eigentlich keiner weiteren Erklärung bedürfen.

1 LOSD 2 „Mort Aux Vaches" 3 (Staalplaat)

Auch L.O.S.D. schreiben Mediengeschichte, allerdings mit eher dokumentatorischen Anspruch. Ihr „The Man Who Made Radio" beginnt mit ambienten Loops, die sich langsam zu wellenförmigen Sounds dehnen und das Thema nur andeuten, das erst nach 13 Minuten durch eine Vielzahl von Samples klarwird: die Frühzeit des Radio und die Veränderungen der Wahrnehmung. Interessanterweise hat Klaus Theweleit das in seinem „Buch der Könige" ausgerechnet auf die Nazipropaganda bezogen, und im heutigen Kontext wirft die Begeisterung, die Radioübertragungen damals auslösten, ein interessantes Licht auf das Internet. Ob das von L.O.S.D. beabsichtigt ist, bleibt dahingestellt, sie stellen das (hauptsächlich retrospektive) Material erst einmal zur Verfügung, halten sich selber bis auf minimale Backgrounddrones sehr zurück und überlassen es uns, was bei den EmpfängerInnen aus der Übertragung gemacht wird.

1 Lustmord 2 „The Monstrous Soul" 3 (Soleilmoon/Triton)

Lustmords erstes digitales, gemeinsam mit Adi Newton von Clock DVA kreiertes Album von 1990 wurde als „journey through a frozen hell" beschrieben, was nur insofern zutrifft, als diese Hölle im Inneren von Lustmords Psyche liegen muß. Quälend düstere Sounds, die niemals einen Sonnenstrahl erblickt haben, und ad nauseam wiederholte Samples von Dämonen verdeutlichen auf erschreckende Weise die Agonie ihrer Schöpfer. Erstaunlich, daß am Ende der Aufnahmen nicht zwei Selbstmorde standen, aber vielleicht diente dieses Album ja als therapeutische Ersatzhandlung.
 
 



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